Sound-Architektur:Kopfräume

Lesezeit: 2 min

Ein Skizzenbuch des Soundarchitekten Bernhard Leitner führt beispielhaft vor, wie man aus Klängen Räume baut.

Von Wolfgang Schreiber

Musik und "Klangkunst" sind nicht dasselbe. Tönt diese vor allem in Konzertsälen, spielt sich jene am liebsten in Museen, Galerien oder unter freiem Himmel ab. In der "Soundart" verschmelzen Klang und Geräusch, der Raum, die Zeit und die Körperbewegungen der Rezipienten und Hörer zu intermedialen Klangereignissen, Klanginstallationen, Klangskulpturen - zu einer eigenen ästhetischen Ganzheit. Akustik und Visualität, Musik, Architektur und bildende Kunst vereinen sich in einer Art ambulanter Wahrnehmungsweise. Die Voraussetzung dazu schuf unter anderem die Audiotechnik, mit der Vielzahl von im Raum applizierten Kontaktmikrofonen, Tonboxen und Verkabelungen in kompliziert berechneten Verfahren.

Zu den Pionieren gegenwärtiger Soundart zählt der Österreicher Bernhard Leitner. Der 1938 in Feldkirch geborene Architekt, als Urban Designer in New York, als Professor in Berlin und Wien tätig gewesen und mit zahlreichen Ausstellungen und Klangexperimenten bekannt geworden, hat schon 1969 mit seinen "Ton-Raum-Untersuchungen" begonnen. Die künstlerischen Resultate faszinierten später in New York und Paris, auf der Kasseler Documenta und der Biennale von Venedig. Und mehrmals, zuletzt 2008, im Hamburger Bahnhof zu Berlin. Dessen Leiter Eugen Blume präsentierte vor Kurzem im Gespräch mit Leitner in der Berliner Buchhandlung Bücherbogen einen neuen Band mit Leitners Skizzenbüchern und Ideennotizen - kiloschwer und im Großformat.

Zu sehen sind erstmals Leitners "Notation" genannte zeichnerische Fragmente, Skizzenserien zu seinen Ton-Räumen - Leitner fand zu Wortschöpfungen wie Ton-Würfel, Ton-Röhre, Ton-Schleuse oder Ton-Turm, dazu Kopfräume und Klangstrahlen oder den "Vertikal pulsierenden Raum". Der Betrachter wird durch die fein-fragilen Zeichnungen quasi zum Zeugen dafür, wie die Visualisierung von Ideen funktionierte, die vor Anbruch der Computerzeit aufs Papier geworfen wurden.

Für Leitners musikalisch-künstlerischen Ansatz charakteristisch: Sein erster Impuls, sagt er, kam von der Alten Musik, von Monteverdis weiträumiger, in den Echo-Raumeffekten epochaler Marienvesper von 1610. "Im Kopf Räume herstellen", es wird sein Lebensthema. Virtuellen Raum im Körper, durch Körper hindurch erzeugen, akustische Räume erschaffen, um Klang-Bewegungen im Körper selbst zu erleben - hundertfach probiert es Leitner in detaillierten Soundexempeln und Klangaktionen. Er spricht von "Bewusstsein öffnen".

Eine "fast besessene Neugier", Grenzen auszutesten, treibe ihn seit 40 Jahren zu diesen wandelbaren Raum-Körper-Hörexperimenten, bekennt Bernhard Leitner. Und Eugen Blume, der im Buchvorwort Heidegger und Beuys zitiert, betritt einen philosophischen Echoraum, wenn er von der "Utopie" redet: Man sollte "die Zeichnungen über ihre praktische Nutzanwendung hinaus als ein geistiges Manifest verstehen, das der verlorenen Ganzheitlichkeit der Sinne prospektive Modelle entwirft".

Bernhard Leitner : Skizzenbuch Notation Ton-Räume / Sound Spaces Notation Sketchbook. Text von Eugen Blume. Verlag Hatje Cantz, Ostfildern 2015. 224 Seiten, 113 Abb., 48 Euro.

© SZ vom 06.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: