Sloterdijks erotischer Roman:Knochen hier, Zähne da

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Die Verlegerin Ulla Unseld-Berkewicz und der Philosoph Peter Sloterdijk im Siegfried-Unseld-Haus. (Foto: Regina Schmeken)

Beim Suhrkamp-Empfang auf der Frankfurter Buchmesse liest Peter Sloterdijk aus dem Roman, den er gerade schreibt. Über Männer und Frauen, den Verkehr zwischen ihnen, über das "von hinten zu nehmende Tier".

Von Jens Bisky

"Das Schelling-Projekt" heißt der unveröffentlichte Roman, aus dem Peter Sloterdijk am Mittwochabend auf dem 56. Kritikerempfang des Suhrkamp-Verlages las. Er schaffte, was im Siegfried-Unseld-Haus nicht jedem gelingt, sein Text wurde ein Hauptgesprächsgegenstand der geselligen Schnellplauderei bei Wein, Häppchen, Zigaretten. Der eine erinnerte sich an Sloterdijks epischen Versuch "Der Zauberbaum" aus dem Jahr 1985, andere schüttelten den Kopf über Altherrendeftigkeiten, manche priesen die Pointendichte.

Sloterdijk, der produktivste Philosoph des Landes, hat nicht viel erklärt zu seinem Roman. Er fühle sich verjüngt, sagte er, sein Roman sei ein Briefroman, in dem es um ein gescheitertes Forschungsprojekt zur weiblichen Erotik gehe - unter besonderer Berücksichtigung der Naturphilosophie des deutschen Idealismus.

Friedrich Wilhelm Joseph Schelling hatte nach dem Tod seiner geliebten Frau Caroline - sie starb 1809 - seiner Trauer in der dialogischen Schrift "Clara. Über den Zusammenhang der Natur- mit der Geisterwelt" nachgedacht. Das Fragment wurde erst nach seinem Tod veröffentlicht, es steht im Ruf, seltsam und mysteriös zu sein. Nun, es geht um die "Seele" als Natur und Geist verbindendes Band und ums Weiterleben nach dem Tode.

Sloterdijks Forscher nähern sich als unzeitgemäße Kinder des Zeitgeistes der weiblichen Erotik zupackender. Sie hoffen auf Hilfe von Paläontologen und wissen doch, dass ihnen Kenntnisse über die bloße Hardware wenig nützen. Knochen hier, Zähne da, von den Hormonen weiß keiner zu berichten. Ob man nun über "Eva", "Lilith" oder "Hannelore" rede, die Frage sei doch, "wie regten sich in ihr die Dinge?" Spuren davon fehlen, "das Reale ist das Spurlose". Was tut ein Forscher dann? Er fantasiert über die Zähmung der Männer, über Verkehr "a tergo", über das "von hinten zu nehmende Tier" und über die Missionarsstellung.

Ein zweites Schreiben artikuliert Ärger über Intendanten öffentlich-rechtlicher Anstalten, jeder von ihnen ein kleiner Putin. Gediegene Pointen in dichter Folge: Eine leere Wohnung sei wie eine alte Freundin, die aufgehört hat, dich zu kritisieren, das Ich sei wie ein Glas, wenn es leer, müsse man nachfüllen. Zwei Schreiben wurden gelesen, und in beiden hörte man den Formulierungserotiker Sloterdijk, die Stimme des Philosophen, der zu allem etwas zu sagen hat, weil er gut umformuliert, transformiert, Einfälle hat. Wo aber ist der Briefroman, das mehrstimmige Echo des scheiternden "Schelling-Projekts"? Im Frühjahr 2016 wird man es wissen.

© SZ vom 16.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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