Shakespeare-Forschung:Cannabis und Caliban

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Christine Dössel ist Theaterkritikerin im Feuilleton. (Foto: Niemand)

Viel wurde Shakespeare schon nachgesagt: dass er schwul war und seine Werke nicht selbst geschrieben hat. Jetzt soll er auch noch gekifft haben.

Von Christine Dössel

War Shakespeare ein Kiffer? Hat der größte Dramatiker aller Zeiten seine Werke womöglich im Drogenrausch verfasst? Das Sommerloch hat schon so manche Blüten getrieben, im Fall der Cannabispflanze jedoch, die Forscher an der University of the Witwatersrand in Johannesburg mit dem britischen Dramatiker nun in Verbindung bringen, geht der Verdacht nicht bloß auf hitzige Fantasien, sondern tatsächlich auf forensische Analysen zurück.

Der südafrikanische Anthropologe Francis Thackeray untersuchte mit einem Forscherteam 24 Bruchstücke von Tabakpfeifen aus Stratford-upon-Avon aus dem frühen 17. Jahrhundert, darunter einige aus Shakespeares Geburtshaus und aus dem Garten jenes Herrenhauses, in dem der in London zu Wohlstand gekommene Dichter seine letzten Lebensjahre verbrachte. Mittels eines speziellen Analyseverfahrens stießen die Wissenschaftler in acht Proben auf Spuren von Marihuana und in mindestens einer Probe auf Nikotin von Tabakblättern. Zwei weitere Pfeifen wiesen "eindeutig" Rückstände peruanischer Koka-Blätter auf, also: Kokain. Der Weltumsegler Sir Francis Drake, so die Vermutung, mit dem Shakespeare bekannt war, könnte solche Blätter aus Peru mitgebracht haben - so wie Sir Walter Raleigh "Tabak" (Nicotiana) aus dem nordamerikanischen Virginia nach England eingeführt hatte. Nachzulesen im South African Journal of Science.

Hamlet - das Geschöpf eines Drogentraums?

Jetzt ist die Aufregung mal wieder groß. Shakespeare, dem bekanntesten Unbekannten der Dramenliteratur, wurde ja schon vieles nachgesagt - dass er schwul gewesen sei oder ein heimlicher Katholik oder dass seine Werke ein gewisser Edward de Vere, Earl of Oxford, geschrieben habe, nicht er selbst. Nun also doch er selbst - aber unter Haschischeinfluss? Das Werk: ein Fall von Doping? Ein Joint Venture? Daher all der Wahnsinn in seinen Stücken, die abgefahrenen Morde, ein Monster wie Caliban, all die Verirrten und Verwirrten? "Schlafen! Vielleicht auch träumen . . ." - ist Hamlet eine Trip-Geburt? High sein oder nicht sein?

Der Wissenschaftler Thackeray glaubt tatsächlich, Hinweise auf stimulierenden Cannabis-Konsum im Werk selbst ausmachen zu können. Im Sonett 76 schreibt Shakespeare: "Why write I still all one, ever the same / And keep invention in a noted weed." Laut Thackeray bedeutet das: Shakespeare nutzte Gras ("weed"), um kreativ zu schreiben ("invention"). Im selben Sonett schreibt Shakespeare, er habe nichts mit seltsamen Gemischen ("compounds strange") am Hut - damit könnte, so die Deutung, das damals ominöse Kokain gemeint sein. Eventuell. Sicher weiß man natürlich nichts. Nicht einmal die analysierten Pfeifen können eindeutig Shakespeare zugeordnet werden. Womöglich ist das alles: starker Tobak.

© SZ vom 14.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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