Serie "Hass auf Kunst":Was soll der Hype um "Twin Peaks"?

Hass auf Kunst Twin Peaks

Kaffee und Kirschkuchen: Agent Dale Cooper jagt in Twin Peaks einen Mörder - oder doch einen Baumstumpf?

(Foto: pr,dpa; Collage Jessy Asmus/SZ)

Serien-Fans fiebern der Neuauflage von "Twin Peaks" entgegen. Dabei war schon das Original nichts als Surrealismus für Spießer.

Von Josa Mania-Schlegel

Niemand hasst Twin Peaks. Nein, wirklich: Niemand hasst Twin Peaks. Weil diese Serie so unergründlich ist. Anfangs sieht noch alles nach Sonntagabendkrimi aus: Ein idyllisches Dorf, die Leiche der jungen Laura Palmer, die tuschelnde Dorfgemeinschaft. Ein FBI-Detektiv nimmt die Ermittlungen auf - und stößt dabei auf düstere Geheimnisse.

Viel mehr ist da nicht, war da nie. Die Serien-Erfinder David Lynch und Mark Frost haben Anfang der Neunziger ganz hinterhältig getrickst: Weil sie die Lückenhaftigkeit ihrer Geschichte zum Prinzip erklärten, fühlten sich ihre Zuschauer angestachelt. Sie nannten sich "Peakies" und versuchten das Puzzle zu lösen. Das Verwirrspiel ging eine Weile lang gut. "Prä-faktisch", würde man heute vielleicht sagen. Das war neu und aufregend. Der ganz durchschnittliche Mordfall wurde zum Riesenhype - bis irgendwann gar keine Fakten mehr geliefert wurden. Und auch die ganz geduldigen Art-House-Cineasten hinschmissen. Die Serie wurde abgesetzt. Nicht fertig erzählt, Fans enttäuscht.

Als wäre den Machern ein Satz Tarotkarten ins Drehbuch gefallen

Serie "Hass auf Kunst"

Was soll der Hype? Diesen Satz würde man gern am Mittagstisch, abends beim Bier oder auf einer Party rufen, wenn es mal wieder um den Künstler schlechthin geht. Egal ob er wie Georg Baselitz aus der Hochkultur kommt, oder wie Quentin Tarantino aus der Populärkultur. Um den einen, dessen Werk - Gemälde, Bücher, Alben, Filme - alle bejubeln. Alle, außer man selbst. Aber sich outen und der vorherrschenden Meinung entgegenstellen? Bloß nicht! Denn wer Kunst kritisiert, dem wird schnell vorgeworfen, dass er sie nur nicht verstehe. Banause, halt. Wir wagen uns trotzdem vor: SZ-Autoren setzen sich mit Kunst auseinander, die sie hassen.

Doch der Mythos überlebte. Total surreal, schwärmen noch heute heranwachsende Generationen neuer "Peakies". Sie erzählen was von Eulen, Baumstümpfen, einem Zwerg. Diese schwurbeligen Symbole sind ja auch einprägsam und damit eine Art corporate identity der Serie. Aber, ernsthaft: Stehen sie für irgendwas? Sie kommen so zufällig zum Einsatz, als wäre den Machern ein Satz Tarotkarten ins Drehbuch gefallen. Das Chaos kontrolliert bald nur noch die Hauptfigur: Agent Dale Cooper mit seinen markigen Sprüchen und Gesten. Er schwärmt für Kaffee und Kirschkuchen, macht den Daumen hoch oder das Tonband an. Diese Prinzipientreue wirkt irgendwann so maschinell wie der Faustschlag-Humor eines durchschnittlichen Tatort-Kommissars.

Ohje, und erst all die dekorativen Symbole und die knalligen Running-Gags. Es ist, als hätten die Macher bloß eines im Sinn gehabt: Dass ihre Serie mal einen tollen Zitate-Fundus abgibt. Hat geklappt. Der Twin-Peaks-Zwerg, zum Beispiel, ist in der Serie ein Symbol für das Böse. Insider nutzen sein Foto heute in Chats und Foren als hintersinnige Aufforderung zu unmoralischen Handlungen. Schon klar: Jede alte Serie wandelt, in Einzelbilder geschreddert, wie ein Zombie durchs Internet. Bloß macht Twin Peaks so wenig Sinn, dass hier der ganze kulturelle Verwertungskreislauf rückwärts abgelaufen sein muss.

Jemand hat viele coole Fotos und Floskeln gesammelt und zu einer dicken Brühe verkocht. Medienforscher jubelten über die neuen narrativen Strukturen (und das zur Prime Time!), dabei war da immer nur: eine dicke Brühe. Denn in der Serie bleiben all die starken Bilder von Eulen und Zwergen und Baumstümpfen blanke Mysterien, ohne Auflösung. Alles nur Show. Wahllos gehen die Türen ins Abstrakte auf, man wird reingeschubst und landet irgendwo. Twin Peaks schmeißt seine Geschichte über Bord und setzt seinen ästhetischen Willen durch, wie ein kleines, bockiges Kind. Die Figuren, der Plot, der Mord - all das wirkt irgendwann nur noch zufällig. Und wenn alles egal ist? Dann tut auch nichts mehr weh. Der Blick in den Abgrund entfällt. Im besten Fall ist Twin Peaks bedrückend, aber niemals unbequem. Es ist Surrealismus für Spießer.

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