Schweizer Literatur:Die bezaubernde Tochter eines Mitläufers

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Der in Berlin lebende Schweizer Autor Daniel Goetsch verordnete einem Dramatiker eine Lebenskrise, verfrachtet ihn auf eine Insel im Mittelmeer und wickelt ihn dort in Anspielungen ein.

Von Martin Ebel

Schon der alte Plutarch hats gewusst: Man müsse zwei Lebensgeschichten gegeneinander schneiden, nur so komme man dem Sinn eines Daseins auf die Spur. Ist es also sinnlos, die Biografie von Maxim Diehl zu schreiben, eines in den 1990er-Jahren höchst erfolgreichen Dramatikers, der sich kurz vor der Milleniumswende von den Klippen einer Mittelmeerinsel gestürzt hat? Das behauptet, mit Plutarch, Diehls Verleger. Der namenlose Ich-Erzähler tut es trotzdem, aber das Ergebnis gibt dem Verleger recht. Denn die Lebensbeschreibung Diehls wird zu einer Doppelbiografie. Nicht parallel, sondern ineinander verschachtelt.

Nämlich so: Diehl, vom Theaterbetrieb angeödet, ausgeschrieben, tablettenabhängig, künstlerisch und privat in einer Sackgasse, hat sich auf die Insel Porquerolles zurückgezogen, mit einem autobiografischen Schreibvorhaben. Eine Bilanz, ein "Fazit" soll es werden. Aber das eigene Leben langweilt ihn in der Rückschau schnell, obwohl es mit dem Ausbruch aus dem Provinzmief des Schweizer Mittellandes, mit wilden Bohemejahren inklusive "Züri brännt", mit einer vor allem die Verdauung schwer belastenden Mexiko-Reise und der fulminanten Theaterkarriere doch einiges zu bieten hat.

Aber dann lernt Diehl den Amerikaner Jack Quintin kennen, der ihm auf nächtlichen Spaziergängen und zwischen etlichen Cognacs Spannenderes zu erzählen hat. Quintin war Teil einer aus Emigranten zusammengestellten Spezialtruppe, der "Richie Boys", die 1945 in Deutschland Nazis verhören und "Reeducation" betreiben sollte. Was Quintin erzählt, schreibt Diehl wie im Fieber auf, in der festen Überzeugung, "aus diesem Material würde er etwas Großartiges schaffen".

Was er geschafft hat, lesen wir in Schreibmaschinenschrift, typografisch abgesetzt von dem, was der Biograf über Diehl sonst zusammengetragen hat - durch Gespräche mit dessen Mutter, einem Studienfreund und der großen Liebe Viv. Etwas Großartiges ist es aber nicht, allenfalls eine Vorlage, die nie ausgearbeitet wurde. Da begegnet Quintin die "höchst bezaubernde" Tochter eines Mitläufers, der er "vom ersten Augenblick an verfallen" ist - derartigen Kitsch hätte ein erfolgreicher Dramatiker wohl kaum stehen lassen. Verständlich wird indes, was Diehl an Quintins Geschichte fasziniert: ein biografisches Paradox. Quintin hatte erzählt, 1945 einen 15-jährigen Hitlerjungen erschossen zu haben. Und durch Diehls Familie geistert die Legende vom mutigen Vater, der als 15-jähriger Hitlerjunge einen Amerikaner getötet habe. Bei jeder Version der Geschichte wäre einer der beiden Gesprächspartner tot - weshalb sie beide ins Reich der Legende gehören.

Ohne dieses Paradox wird es noch unplausibler, dass ein berserkerhafter Dramatiker, der jede politische Botschaft verachtet, plötzlich auf ein Leben abfährt, das den Kampf des Guten gegen das Böse verkörpere. Aber wenn auch die Konstruktion und Erzähllogik im sechsten Roman des in Berlin lebenden Schweizers Daniel Goetsch (einen Auszug las er, ohne Lorbeeren zu ernten, letztes Jahr in Klagenfurt) gehörig knirschen, seine Figuren kaum überzeugen und seine Sprache nicht wirklich verzaubert, dann lässt man sich wenigstens das Spiel mit Anspielungen und Anklängen gern gefallen.

Wer will, kann beim Theaterverlag "Volkart & Reinhart" oder beim Starregisseur "Tembrock" nach Ähnlichkeiten mit wirklichen Verlagen oder Personen suchen. Den "Hal Fly", Quintins Kameraden bei den "Richie Boys", hat es tatsächlich gegeben, es ist der spätere DDR-Schriftsteller Stefan Heym. Einmal treibt es Daniel Goetsch dann aber doch zu weit: Die junge Paula, eben jene "höchst bezaubernde" Geliebte, schreibt Gedichte, in denen "die Wahrheit dem Menschen zumutbar ist". Ingeborg Bachmann in nuce und in spe? Das dann doch bitte nicht.

© SZ vom 24.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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