Schnee in Biarritz:Serbischer Skorpion

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Eine Menge Koks kommt dahergeschwommen am Strand von Biarritz. Was die Killerin Nathali in Bewegung setzt, für den serbischen Kokskönig Radzik. Estelle Surbranche bringt in "So kam die Nacht" Beispiele fürs Spiel von Macht und Loyalität.

Von Stefan Fischer

Es schneit selten in Biarritz, schon gar nicht im September. Im Spätsommer 2003 jedoch liegt eine Menge Schnee an den Stränden. Eineinhalb Tonnen Koks sind bei einer geplatzten Übergabe im Meer gelandet. Nach und nach werden die gut verschnürten Päckchen an die Küste im Südwesten Frankreichs gespült. Etliche Menschen kommen dadurch ins Schlittern. Und einigen von ihnen zieht es die Füße dabei so gewaltig weg, dass sie nicht wieder aufstehen.

Dafür sorgt, neben der extrem reinen und damit besonders durchschlagenden Droge, vor allem Nathalie. Eine Serbin, die in den Neunzigerjahren, während der Jugoslawien-Kriege, im bosnischen Sarajewo aufgewachsen ist mit einem Kroaten als Vater. "So kam die Nacht" von Estelle Surbranche beginnt mit einem Prolog auf dem Balkan, Jahre vor den Ereignissen in Frankreich, in dem es genau darum geht: Wie sich das verschattete Leben Nathalies radikal und endgültig verdunkelt; ohne die Aussicht, dass einmal wieder Wärme und Licht zu ihr vordringen könnten.

Nathalie arbeitet für Radzik, der unter anderem das Koks-Geschäft in Paris beherrscht. Sie hasst den Mann, akzeptiert ihn jedoch, "weil er in seinem Business der Beste war, der Beste darin, andere zu beherrschen und Angst und Schrecken zu verbreiten". Denn Nathalie will nie wieder die Unterlegene, die Ausgelieferte sein, sondern stets absolute Macht über ihr Gegenüber haben. Radzik ermöglicht ihr das, sie ist seine effektivste, seine lustvollste Killerin: "Nichts war mit dem aufregenden, elektrisierenden Gefühl vergleichbar, ein Opfer zu jagen." Nathalie geht es nicht darum, möglichst viel von dem Kokain wieder einzusammeln, das wäre aussichtslos. Sondern um eine blutige Botschaft: "Niemand beklaut einen serbischen Skorpion und das muss die ganze Welt kapieren."

Ein paar Kilo Koks könnte einen auf die Überholspur des Lebens bringen

Aus drei Perspektiven erzählt Estelle Surbranche diesen Thriller: Da sind zwei Surfer, Romain und Matthieu, die ein paar Kilo Koks einsacken im Glauben, dass ihr Leben dadurch auf die Überholspur biegt. Da ist die in die Provinz abgeschobene Drogenfahnderin Gabrielle Levasseur, die bald in einer monströsen Mordermittlung steckt - für sie eine Chance zur Rehabilitierung. Und da ist Nathalie, die ohne Empathie, mit großer Brutalität ihre Botschaft formuliert.

"So kam die Nacht" zieht seinen Reiz auch daraus, dass es in allen drei Milieus um Loyalität und Anerkennung geht, um Rauschzustände und Allmachtsgefühle - respektive die Furcht vor der eigenen Ohnmacht. Estelle Surbranche, die sich als DJ einen Namen gemacht und das französische Magazin Flavor mitbegründet hat, liefert dazu eine Reihe spannender Psychogramme. Sämtliche Figuren haben ganz ähnliche Antriebe - wenn auch zu unterschiedlichem Zweck und mit einem abweichenden Ausmaß an Skrupellosigkeit. Und nicht von ungefähr geht es um Frauen in einer männlich dominierten Umgebung - das gilt auch für die neue Clique der beiden Surfer.

Surbranche schafft ungewöhnliche Umstände für ihre Figuren. Und lässt sie dann von der Leine. Zwänge und Freiheiten mischen sich dabei auf verstörende Weise zu einem Gefühl der Stärke. Doch wer andere unterwirft, ist irgendwann sehr einsam.

Estelle Surbranche : So kam die Nacht. Aus dem Französischen von Cornelia Wend. Polar Verlag, Hamburg 2017. 336 Seiten, 16 Euro. E-Book 10,99 Euro.

© SZ vom 28.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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