Schauspieler Jürgen Vogel:"Ich will Grenzgänger sein"

Lesezeit: 5 min

Jürgen Vogel spricht über die Anziehungskraft schlechter TV-Sendungen, unglaubhafte Liebeserklärungen und seine neue Rolle als spontaner Hausherr in der "Schillerstraße" auf Sat 1.

Hans Hoff

Früher war Cordula Stratmann die Gastgeberin in der Improvisationscomedy Schillerstraße. Von 2004 bis 2007 stolperten dort Komödianten und solche, die sich dafür hielten, durch eine Wohnzimmer-Kulisse und reagierten auf absurde Anweisungen, die sie - unhörbar für die anderen auf der Bühne - von einem unsichtbaren Spielleiter erhielten. In ihren besten Momenten war die Schillerstraße ein großer Spaß für Zuschauer und Akteure, in schlechten ein Tummelplatz für Dilettanten. Am Freitag übernimmt der Schauspieler Jürgen Vogel, 40, die Rolle des Hausherren in der Sat-1-WG, die nach langer Pause wieder für etwas Tumult bei den Senderquoten sorgen soll.

Hat bald einen Knopf im Ohr: Jürgen Vogel ist neuer Hausherr in der "Schillerstraße" auf Sat 1. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Wie wichtig ist Chaos, Herr Vogel?

Jürgen Vogel: Das ist schon ein großer Bestandteil der Medien. Wenn man zum Beispiel einen Film macht, ist es wichtig, dass es da ist. Chaos steigert den Ehrgeiz und die Konzentration. Bestimmte Projekte in meinem Leben wären ohne Chaos nicht das geworden, was wir daraus gemacht haben.

SZ: Wie viel Chaos brauchen Sie als neuer Hausherr in der Schillerstraße?

Vogel: Da brauche ich eine gewisse Lockerheit, damit ich nicht verkrampfe und auf alles, was passiert, reagieren kann. Da darf man sich gar nicht ins Chaos stürzen lassen. Da musst du ständig reagieren und agieren und genau zuhören, was die anderen so machen. Da ist eine relativ entspannte und lockere Haltung sehr wichtig.

SZ: Die Unordnung ist bei der Schillerstraße aber doch im Konzept angelegt.

Vogel: Es ist wichtig, dass man gar nicht versucht, das zu ordnen, sondern sich auf das, was da gerade passiert, einzulassen.

SZ: Wer sich einlässt, ist Spielball.

Vogel: Du hast alle Möglichkeiten. Du kannst das auch lenken, aber das ist nicht mein Ehrgeiz. Ich habe da kein Grundkonzept. Ich merke, was passiert und nehme es in die Hand, aber dann lasse ich es auch wieder los.

SZ: Bei der Schillerstraße sind Sie Gastgeber, andererseits werden Sie durch den Knopf im Ohr gelenkt. Einerseits sind Sie Schauspieler, andererseits spielen Sie einen Schauspieler. Geraten gelegentlich die Ebenen durcheinander?

Vogel: Ich versuche das immer so zu sehen, als wäre es echt, als hätte ich da eine Wohnung, als wäre ich nach Köln gekommen und versuchte, mich auf diese rheinische Natur einzustellen. Ich spiele ja einen Schauspieler, der es noch nicht so gebracht hat. Da kann ich sehr aus meinen Erfahrungen aus den Anfängerzeiten schöpfen. Das ist der gute Geist, den man immer bei sich hat. Ich kenne ja viele, die wie ich denken: Ich kann eigentlich gar nichts, mal sehen, wann sie drauf kommen. Das trage ich wahrscheinlich mit mir, bis ich tot bin, diese Angst, dass die Leute merken, dass ich gar nichts kann. Da komme ich nicht so durcheinander.

SZ: Aber Sie haben schon die Verpflichtung, zu spielen und nicht nur einfach so zu sein, wie sie eh sind.

Vogel: Weiß ich gar nicht.

SZ: Sie spielen einen Schauspieler.

Vogel: Ich spiele das und bin das auch. Genauso geht es mir privat doch auch. Es gibt viele Leute, die ein bisschen misstrauisch sind, weil sie wissen, dass ich Schauspieler bin. Die erkennen gar nicht die Person dahinter. Wenn du denen etwas Dramatisches erzählst oder wenn du traurig bist, haben sie immer dieses Gefühl: Das ist doch ein Schauspieler. War das jetzt echt? Oder wenn du eine Frau kennenlernst und sagst der, dass du sie liebst, kommt dann: Das hast du jetzt genau so zu mir gesagt wie in dem einen Film.

SZ: Ist das passiert?

Vogel: Das gab es schon einmal. Das hat mit unserem Beruf zu tun, dass man uns nicht so hundertprozentig traut.

SZ: Im Internet steht: Jürgen Vogel kann die Schillerstraße nicht. Der ist kein Comedian. Ist das Lob oder Tadel?

Vogel: Das ist für mich ein Ansporn. Man könnte ja auch sagen, dass ich kein Schauspieler bin. Ich habe mit 15 angefangen, und ich war damals sicher kein Schauspieler. Das lässt mich aber inzwischen relativ kalt.

Erfahren Sie auf der nächsten Seite, warum Jürgen Vogel eine Platte aufnahm ohne singen zu können.

Heimliche Promi-Zwillinge
:Hauptgesicht mit Beilage

Doppel-Ich: Wenn Schauspieler denken, sie seien einmalig, beweisen diese Bilder das Gegenteil.

SZ: Musste man Sie zur Schillerstraße überreden?

Vogel: Ich habe mir das angeguckt, und dann haben wir gesprochen, und ich habe überlegt und gedacht: Eigentlich ja.

SZ: Eigentlich?

Vogel: Es ist ja auch ein Risiko, habe ich am Anfang gedacht. Da kann ich auch etwas verlieren. Aber das ist doch eigentlich das, warum man Dinge tut im Leben. Wenn man nur das macht, wobei man das Gefühl hat, da gewinne ich, dann fängt man nicht mal an zu laufen. Der Sieg, etwas geschafft zu haben, was man sich vorgenommen hat, ist eine ganz wichtige Erfahrung.

SZ: Was hätten Sie zu verlieren?

Vogel: Eigentlich nichts. Ich habe Drahtseilnerven. Selbst wenn ich scheitere, bin ich um eine Erfahrung reicher.

SZ: Sie stehen für eine gewisse Haltung. Können Sie die definieren?

Vogel: Schwer. Ich will auf jeden Fall ein Grenzgänger sein. Ich kann ja auch nicht singen und habe trotzdem eine Platte gemacht. Ich hoffe, dass sich Leute deswegen Dinge trauen. Daniel Brühl hat mal gesagt, dass es für ihn am Anfang ganz wichtig war, dass es mich schon gab. Weil ich auch einer bin, der nicht auf der Schauspielschule war. Das hat ihm Mut gemacht.

SZ: Wo sind Sie gescheitert?

Vogel: Klingt jetzt blöd, wenn ich sage: noch gar nicht. Aber ich habe viele Dinge gemacht, bei denen man hätte scheitern können. Wenn man Mut hat, kann man eigentlich sowieso nicht scheitern.

SZ: Mit Mut ist man im Mediengeschäft schon ganz vorne?

Vogel: Auch im Leben.

SZ: Woher nehmen Sie die Anerkennung, die Sie brauchen?

Vogel: Anders. Ich tue das, was ich tue, weil ich es tun muss. Ich brauche das. Während ich drehe, passiert bei mir etwas, was mir gut tut, da fließt etwas, was sich seelisch sehr gut anfühlt. Es gibt Leute, die wollen nach Hollywood und machen das deshalb. Solche Träume habe ich nicht, ich muss das.

SZ: Kannten Sie die Schillerstraße, bevor Sie das Angebot bekommen haben?

Vogel: Ja, natürlich.

SZ: Sie schauen fern? Das tun Schauspieler sonst nicht. Die ekeln sich vor dem Fernsehen, sagen sie.

Vogel: Die sagen das, weil es gut klingt. Und es läuft ja auch viel Schrott, aber das inspiriert mich und gibt mir Kraft. Ich kann auch aus negativen Dingen, und dazu gehört auch das Fernsehen, Kraft schöpfen.

SZ: Gibt es Mist, den Sie gerne sehen?

Vogel: Es gibt eine perverse Anziehungskraft von ganz schlechten Sendungen.

SZ: Die Lust am Unfall.

Vogel: Ja, so wie früher beim Musikantenstadl, den mein Vater ab und zu angesehen hat, und wir haben es mitgeguckt und es abartig gefunden. Es ist gesellschaftlich total interessant zu sehen, was die Sender glauben, ihren Zuschauern zumuten zu müssen. Ich habe gerade diesen Dschungelquatsch geguckt . . .

SZ: . . . der ist doch handwerklich gut gemacht.

Vogel: Ich finde, da ist die Grenze erreicht. Da fehlt mir der Respekt vor der Menschheit. Für mich hat gute Unterhaltung auch immer mit Intelligenz zu tun. Aber da frage ich mich: Ist der Respekt vor den Menschen so weit gesunken, dass man das so bis zum Ende durchziehen muss? Ich habe Mitleid beim Gucken, ich empfinde da keine Schadenfreude. Wir sind da gesellschaftlich eindeutig an einer Grenze angelangt. Da stellt sich ein bisschen das Chaos des Nicht-mehr-genau-Wissens ein. Aber vielleicht entwickelt sich daraus ja etwas Neues.

SZ: Bei der ersten Staffel der Schillerstraße hat einer der Beteiligten gesagt: Die Sendung sei gelungen, wenn sie so funktioniere wie das Ohnsorg Theater.

Vogel: Interessante Variante. Habe ich noch nicht drüber nachgedacht.

SZ: Es kommt immer einer rein, Türen gehen auf und zu, und es gibt andauernd Verwicklungen und Überraschungen.

Vogel: Dann sind wir vielleicht die moderne Version des Ohnsorg Theaters.

SZ: Und Sie sind die Heidi Kabel?

Vogel: Vielleicht phasenweise. Das wird sich noch herausstellen.

© SZ vom 27.1.2009/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: