Schauspiel Frankfurt:Ich leide, also bin ich

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In Frankfurt wurde Felicia Zellers "Zweite allgemeine Verunsicherung" uraufgeführt: als Erzählung von den verängstigten Zombies der Gegenwart, die wir selbst sind.

Von Jürgen Berger

Eine der Frauen wandelt auf einem roten Teppich, eine andere ist als Referentin zu den 22. Bottroper Power-Tagen geladen. Die dritte ist eine ziemlich prominente Theaterfrau, die vierte verbarrikadiert sich lieber gleich in einem Hinterzimmer und gibt sich ihren Verlustängsten hin. Und irgendwann fällt der Satz, die Hölle sei eine Wiederholung. Spätestens da kann man nicht mehr darüber hinwegsehen, dass es dem Personal in Felicia Zellers neuestem und selbst für ihre Verhältnisse ziemlich ungewöhnlichen Theatertext nicht gut geht.

Man kennt sie ja als Autorin, die soziale Milieus mit Sprachwitz und absurden Pointen zur Kenntlichkeit entstellt. Für das Frankfurter Schauspiel hat sie mit "X Freunde" vor vier Jahren die hysterische Arbeitswut kreativer Startup-Menschen ironisiert. In "Zweite allgemeine Verunsicherung" verweigert sie nun eine konkrete Zuordnung ihrer Figuren. Es gibt zwar Karrierefrauen - aber man kann sie nicht in konkrete lebensweltliche Situationen einordnen. Sie stehen eher für das Herumirren in der Unübersichtlichkeit von Katastrophenszenarien. Ihr jammert auf hohem Niveau, möchte man ihnen entgegen halten, versteht aber, dass sie es schon ziemlich schwer haben. Immerhin ist die Weltlage so unübersichtlich wie nie zuvor.

Ein "Festival des Selbstmitleids" nennt Felicia Zeller ihr Stück, das ursprünglich "Iwanow reloaded" hieß und eine Überschreibung von Tschechows "Iwanow" hätte sein können. Das Auftragswerk entwickelte sich aber weg von Tschechow, dem Urahnen aller zaudernden Zeitgenossen, und wird von Johanna Wehner in der Frankfurter Uraufführung dann auch noch in einen völlig anderen Kontext gestellt. Die Regisseurin geht mit der Vorlage frei um und verpflanzt die "Zweite allgemeine Verunsicherung" in ein untergründiges Schattenreich verängstigter Zombies. Volker Hintermeier (Bühne) hat zu diesem Zweck ein marodes, seitlich geneigtes Rostgerüst im Endzeitambiente bauen lassen.

An solchen Orten zeigt sich der Mensch gemeinhin als Überlebender von Katastrophen. Doch die Frankfurter Verunsicherungsagenten sind nicht Opfer eines über dem syrischen Himmel ausgelösten Krieges, sondern nur der eigenen irrlichternden Ratlosigkeit. Sie zucken durch ein Leben, dessen einziger Motor grenzenlose Angst ist. Die großartige Constanze Becker etwa spielt eine aufgeplusterte Mondäne, die sich mit verächtlich herabgezogenen Mundwinkeln umsieht. Dann aber stöckelt sie so unsicher herum, dass man sie am liebsten in ein Sanatorium für ausgemusterte Diven einliefern würde.

Ist das Iggy Pop? Oder doch eher Jerry Lewis?

So eine Frau wird von der Angst eines möglichen Bedeutungsverlustes angetrieben. Verena Bukal dagegen ist ein aufgescheuchtes Frauenzimmer, das mit fahrigen Bewegungen auf alle möglichen Bedrohungen reagiert - und zwar noch bevor sich diese zeigen. Passend zum selbstironischen Ton des Textes kommt sie in ihrem kanariengelben Kleid und mit der großen Brille wie ein Klon von Felicia Zeller daher. Vincent Glander könnte mit seinen strähnigen Haaren und dem ausgemergelten Kokskörper ein zweiter Iggy Pop sein, während Till Weinheimer glatt als Jerry Lewis-Double durchgeht, während Martin Rentzsch den soignierten Entertainer gibt.

Sie alle sind Showbizz-Figuren, die andächtig lauschen, wenn aus dem Off die Zittermelodie aus Orson Welles "Der dritte Mann" ertönt. Dann zischt irgendwo ein lose baumelndes Starkstromkabel, und die Katastrophencrew führt sich auf wie eine Horde arbeitsloser Vampire in einem Horror-Film. Man könnte bald meinen, das alles sei viel zu anspielungsreich. Das ist es aber nicht. Im Gegenteil: Johanna Wehner orchestriert den Zeller-Text dermaßen stilsicher, dass er schließlich ganz entrückt klingt.

© SZ vom 23.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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