Schauplatz Wien:"Was hast du dir dabei gedacht?"

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Das ORF-Funkhaus im Stadtzentrum soll verkauft werden. Dagegen richten sich gerade viele Protestaktionen. Vermutlich vergebens. Die Bieterfrist für das geschichtsträchtige Gebäude läuft jetzt aus.

Von Cathrin Kahlweit

Der Schriftsteller Robert Menasse ist nicht als Sadomasochist bekannt, aber am Montag hat er sich angekettet: an die Eingangstür des ORF-Funkhauses in der Wiener Argentinierstraße. Der Anlass ist eine von vielen Protestaktionen gegen den Verkauf des architektonisch bedeutsamen und für die Senderidentität wichtigen Hauses im Zentrum der Stadt. Die Demonstration hieß "Radiomeer", und neben Mitarbeitern der ORF-Sender Ö1, FM4 und Radio Wien fanden sich zahlreiche Künstler ein.

Marlene Streerutitz las die Namen der ORF-Stiftungsräte, worauf ein Chor Protestierender jeweils antwortete: "Was hast du dir dabei gedacht?", und der Musiker Willi Resetarits forderte Aktion. Am Dienstagmorgen versammelten sich dann Mitglieder der Musikergilde zu einer Protest-PK in der Staatsoper. Allein, die vielen Aktionen davor und auch der Last-Minute-Protest dürften zu spät kommen; die Bieterfrist läuft Mittwoch aus, ein Mindestpreis von 18 Millionen Euro ist aufgerufen.

Danach wird den ORF-Mitarbeitern in der Argentinierstraße, wo bisher das öffentlich-rechtliche Radio angesiedelt war, das Schicksal nicht erspart bleiben, das auch den Mitarbeitern der Süddeutschen Zeitung einst nicht erspart blieb: der Auszug an den Stadtrand.

Einziger Unterschied: der Bau in Wien steht schon am "Küniglberg", beherbergt das Fernsehen und wird gerade für viel Geld als Gesamtstandort für die zukunftsträchtige Trimedialität umgebaut. Während das Radiokulturhaus hinter dem Karlsplatz - 28 000 Quadratmeter Fläche und das legendäre 30er-Jahre-Design des Architekten Clemens Holzmeister - Geschichte sein wird. Trotz Zehntausender Unterschriften für den Erhalt einer ORF-Dependance in der Hauptstadt. Trotz der Appelle von Architekturliebhabern und Historikern, den Bau nicht aufzulassen.

Zu spät. Die Technik der Moderne fordert offenbar ihren Tribut, da haben die Stiftungsräte und die Intendanz unter Alexander Wrabetz das letzte Wort längst gesprochen. Nun überlegt eine Gruppe um den Schauspieler Karl Markovics zwar, das Funkhaus in der City zu kaufen, und, wie der Standard berichtet, den Sender Ö1 gleich dazu, aber dazu bräuchten sie sehr viel Geld - und den Zuschlag. Derweil werfen sich auch Politiker vor den Verkaufszug: Wegen der "fragwürdig kurzen Frist" (der ORF hatte das Angebot erst vor wenigen Wochen ausgeschrieben) fordert der grüne Planungssprecher Christoph Chorherr nun eine Bausperre für das Gebäude im 4. Bezirk. Käme die, wäre ohne Zustimmung der Stadt keine bauliche Veränderung möglich.

© SZ vom 11.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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