Schauplatz Venedig:Der Weg der Windhose

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Venedig bröckelt, wegen der Ozeanriesen und der Tausenden Touristen. Alle paar Jahre kommt eine weitere Gefahr dazu: die Windhose, ein Sturm, der Hunderte Häuser zerstört und für Millionen Euro Schaden sorgt.

Von Thomas Steinfeld

Die alte Stadt im Meer ist, wie jeder weiß, vielen Gefahren ausgesetzt. Von unten wird sie durch den nachgebenden Boden der Lagune bedroht, von oben durch immer mehr Wasser, das durch tiefere Kanäle hereindringt. Die Schiffsmotoren lassen den Mörtel zwischen den Steinen bröseln, die Wellen machen die Steine porös, die großen Schiffe verpesten die Luft, und die Touristen zerwetzen Gassen und Schwellen. Und als wäre das alles nicht genug, kehrte in der vergangenen Woche eine alte Unbill zurück: die Windhose. Sie begann ihren Weg irgendwo bei Verona, zog dann an Vicenza vorbei und die Brenta entlang. Auf ihrem Weg zerstörte sie Hunderte von Häusern, darunter in der Nähe der Ortschaft Mira die Villa Fini, ein kleines Schloss aus dem 17. Jahrhundert. Das historische Zentrum von Venedig verfehlte die Windhose nur knapp. Seitdem werden jeden Tag die Schäden neu berechnet: Gegenwärtig werden sie auf weit über hundert Millionen Euro geschätzt.

Alle paar Jahre ereignet sich in oder bei Venedig ein Unwetter dieser Art, und manche sind in die Lokalgeschichte der schrecklichen Ereignisse eingegangen. Das gilt vor allem für die Windhose, die am 11. September 1970 über die Stadt herfiel. Vor Sant'Elena, dem Viertel am äußersten östlichen Ende des "centro storico", erfasste sie einen Wasserbus (ein "vaporetto") und drehte es so, dass Wasser in großen Mengen hineinlief und das Schiff in Sekunden sank. Ungefähr fünfzig Menschen befanden sich darin, die Hälfte von ihnen kam nicht mehr heraus und starb. Von dem kleinen Pinienwald, der damals (wie heute wieder) diesen Winkel der Stadt bedeckte, blieben nur ein paar Stummel übrig. Unter den neu gepflanzten Bäumen erinnert heute ein großer steinerner Quader an dieses Unglück und seine Toten. Die Touristenführer erwähnen den Stein, wie sie auf das Denkmal für die Partisanen in der Nachbarschaft verweisen.

"Als die Windhose kam, war ich auf der Insel", sagen nun die Helden des Untergangs. Von manchen heißt es, sie hätten sich unter Esstischen verkrochen. Man muss sie bewundern. Denn es gibt keine Keller in Venedig.

© SZ vom 15.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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