Schauplatz Tel Aviv:Wie man ohne Smartphone verbindet

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Wie kommt man an religiösen Festtagen zur Ruhe? Ein israelischer Rabbi bietet Atemübungen an.

Von Peter Münch

Auch Ruhe und innere Einkehr wollen gelernt sein, und deshalb muss nun jeder erst einmal aufstehen, ausatmen, einatmen. Mit geschlossenen Augen führt der Weg direkt hinein in die innere Versenkung. "Spürt ihr das?", fragt Rav Doniel Katz, und die Hände gehen hoch zur Bestätigung.

In einer Tel Aviver Synagoge vermittelt der ultra-orthodoxe Rabbi, wie Jom Kippur, der höchste jüdische Feiertag, zu einem spirituellen Erlebnis werden kann. Rund 150 Sinnsucher sind gekommen. "150 Leute in Tel Aviv, das zählt wie 1000 in Jerusalem", sagt Cynthia Ferman zufrieden, die zu den Organisatoren der Veranstaltung zählt. Tel Aviv gilt schließlich als Hochburg der Säkularen und Hedonisten, und tatsächlich herrscht ein deutlicher Kontrast zwischen dem Rabbiner da vorn mit seinem schwarzen Anzug, dem großen Hut und den Schläfenlocken und seinem Publikum. Manche scheinen direkt vom Strand gekommen zu sein mit Flip Flops und kurzen Hosen, manche sind gepierct, manche tragen Bärte wie der Rabbi, nur anders gemeint.

Rav Doniel Katz aber weiß, wie man ein solches Auditorium packt. In seinem früheren Leben war er Filmemacher in Australien, in Videoclips zeigt er sich immer noch gern beim Surfen, mit der Gitarre in der Hand oder am Lenkrad eines schicken Cabrios. Vor 14 Jahren kam er nach Jerusalem, und angesiedelt hat er sich eindeutig in der esoterischen Ecke des Judentums: ein bisschen Kabbala, ein bisschen chassidische Mystik, ein bisschen Hypnose, und das Ganze präsentiert in der Art der amerikanischen Fernsehprediger. Das kommt an, besonders wenn es um einen Tag wie Jom Kippur geht.

Der jüdische "Versöhnungstag", der an diesem Mittwoch begangen wird, hat eine spezielle Magie. Die Frommen fasten und beten vom Sonnenuntergang des Vortags an, und selbst in Tel Aviv ziehen sich viele, die sonst gern den Sabbat mit einer Clubnacht begrüßen, zur inneren Einkehr zurück. Über ganz Israel liegt himmlische Ruhe - kein Geschäft oder Café hat geöffnet, Fernsehen und Radio schweigen, kein Auto fährt, und selbst der Flughafen und die Grenzen sind dicht.

Doch mit dieser plötzlichen Ruhe muss man umgehen könne, und dies will Rabbi Katz hier lehren. Er weist den Weg in die Kontemplation, "bis alle Seelen verbunden sind in diesem Raum". Die Ersten allerdings sind da schon wieder mit ihrem Smartphone beschäftigt.

© SZ vom 23.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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