Schauplatz Tel Aviv:Entdeckungen im Labyrinth

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Tel Aviv hat einen neuen, sehr großen und sehr verwirrenden Busbahnhof bekommen. Wer etwas erleben möchte, der muss von dort aus gar nicht verreisen - er kann sich auch einfach aufmachen, das Untergeschoss zu erkunden.

Von Peter Münch

Wer den Schildern folgt, der ist verloren. Auch die Rolltreppe scheint geradewegs ins Nichts zu führen. Und diese geschwungene Rampe sollte man wohl besser meiden. Wer nicht alle seine Sinne nutzt in diesem Busbahnhof, der kann leicht den Anschuss nach Jerusalem verpassen - und landet dann zum Beispiel in Manila.

Der Neue Zentrale Busbahnhof von Tel Aviv ist von außen ein Monstrum und innen ein Labyrinth: 230 000 Quadratmeter Fläche auf sieben Stockwerken, sieben Kilometer gewundene Gänge ohne Tageslicht, 1600 Läden, von denen mehr als die Hälfte leer steht. Bis zu 100 000 Menschen hetzen hier durch an jedem Tag. Sie sind hier, weil sie weg wollen. Dabei wäre es lohnend zu bleiben. Denn an diesem Ort hat auch die Kultur eine Heimstatt gefunden. Das fängt schon in Manila an, wohin man von hier aus reisen kann, ohne ein Flugzeug zu nehmen. Man muss sich nur im Erdgeschoss, das nach der hier geltenden Verwirrungslogik als vierter Stock bezeichnet wird, ein wenig treiben lassen. Vorbei an den Läden mit den Laptops, einmal rechts, zweimal links und ein paar Mal im Kreis - und schon ist man mitten in Südostasien, wo freitags zum Karaoke gebeten wird oder eine der jungen Gastarbeiterinnen die anderen mit Klängen aus der Heimat erfreut. Umrahmt wird die offene Bühne von philippinischen Wechselstuben, Bankfilialen und Reisebüros und dem Manila-Mini-Market mit all den Originalwaren. "Die Oishi-Chips sind die besten", sagt die philippinische Ladenbesitzerin.

Vom vierten Stock, dem Erdgeschoss also, steigt man dann drei Stockwerke hinab ins verlassene Reich der Finsternis. Von den einstmals großen Plänen ist hier ein Kino-palast geblieben mit sechs Sälen, deren pompöse Ruinen sich im Licht einer Taschenlampe besichtigen lassen. Von Zeit zu Zeit werden die Räume noch genutzt von einer Theatertruppe, die sich passenderweise "Mystery" nennt. Der Gegenentwurf zu diesem Schattenreich findet sich im fünften Stock, wo die Wände bemalt sind mit Graffiti von 150 Künstlern aus aller Welt. Maler und Architekten haben sich in verlassenen Ladenlokalen eingerichtet, und in einem Kulturzentrum namens "Yang Yidish" wird mit Büchern, Theateraufführungen und Konzerten die jiddische Sprache als bedrohte Art gepflegt.

Wer nun wieder hinaus will in die wirkliche Welt, der hat zwei Möglichkeiten: Er wagt den Weg durchs Gewirr der Gänge - oder nimmt einfach den Bus nach Jerusalem. Von dort aus soll es gute Verbindungen nach Tel Aviv geben.

© SZ vom 08.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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