Schauplatz Paris:Weder Prügel noch Liebkosungen

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Auf der Suche nach dem richtigen Maß an Regulierung: Auch in Frankreich ist der Klaps als Erziehungsmethode nun verboten.

Von Joseph Hanimann

Exakt zum Beginn der langen Schulferien und damit der Sorge der Eltern, wie die kleine Rasselbande zu Hause, am Strand oder im Auto während den nächsten zwei Monaten zu bändigen sei, hat das französische Parlament einen Riegel vorgeschoben: Mit Prügeln jedenfalls nicht, sagen die Abgeordneten. Sie haben einer Gesetzesänderung zugestimmt, die jede Art von Körperstrafe der Eltern gegenüber Kindern fortan auch in Frankreich verbietet. Zusammen mit England gehörte das Land bisher zu den wenigen in Europa, die diesbezüglich keine Vorschriften haben, abgesehen von den Fällen offensichtlicher Gewalt. Vor einem Jahr wurde Frankreich vom Europarat deswegen verwarnt.

Über Zweidrittel der Franzosen sind dennoch gegen eine solche Einmischung des Staats in die Familie. Eine "fessée", ein Klaps auf den Hintern, eine Kopfnuss, einen Ohrkneifer oder gelegentlich selbst eine Ohrfeige könne nicht schaden, finden sie. Doch, antworten die Verfechter des neuen Gesetzes, denn selbst wenn neunzig Prozent der Eltern auch bei Körperstrafen nur das Beste für ihre Kinder wollten, beginne für den Rest damit das Abgleiten zur Gewalt als Erziehungsmethode. Die Gesetzesänderung bezwecke keine Bevormundung der Eltern und sehe keine strafrechtliche Verfolgung vor, sie wolle vielmehr das allgemeine Bewusstsein wecken.

Gilles Lazimi, Mitglied des französischen Rats für Geschlechtergleichheit und engagierter Befürworter der Änderung, hat dafür seine eigenen Vergleichsbeispiele. Vor hundert Jahren seien Schläge des Familienoberhaupts gegenüber der Frau noch als normal angesehen worden, erklärt er: Das selbe Umdenken müsse nun auch bezüglich der Kinder stattfinden. Das sei demagogisches Wunschdenken zum Zweck des guten Gewissens in der Gesellschaft, wendet der Kinderarzt Bernard Golse vom Pariser Krankenhaus Necker dagegen ein. Die komplexe Beziehung zwischen Eltern und Kindern könne, außer bei klarer Misshandlung, nicht durch Gesetzesparagrafen geregelt werden.

Die Suche nach dem richtigen Maß zwischen Ideal- und Reglementärgesellschaft nimmt in Frankreich vielfältige Formen an. Besonders krass zeigte sich das im Ergebnisbericht einer von der Pariser Oberbürgermeisterin in Auftrag gegebenen Untersuchung über die Gefahren eventuellen sexuellen Kindsmissbrauchs. Der Einzelunterricht in den städtischen Musikschulen sei durch die "Dauerhaftigkeit der von Körpernähe und Verführung geprägten Beziehung zwischen Schüler und Lehrer" ein besonderer Risikofaktor, heißt es darin. In einer ersten Fassung war der Bericht sogar so weit gegangen, namentliche Beispiele anzuführen wie das Verhältnis, das die Pianistin Hélène Grimaud als Minderjährige zu ihrem Lehrer Jacques Rouvier gehabt haben soll.

Die Musiklehrer protestierten entschieden gegen die absurde Generalverdächtigung. Die Stadtbehörde suchte ihrerseits die Musiklehrer zu beruhigen und erklärte, der Bericht würde keinerlei Folgen haben. Doch die Verärgerung wirkt fort und mit ihr auch ein latenter Verdacht. Manche vermuten nämlich hinter dem Inspektionsbericht die Absicht, den teuren, mitunter als elitär angesehenen Einzelunterricht vorab für klassische Musik an den Konservatorien in Verruf zu bringen und allmählich abzubauen. Nur langsam setzt sich die Einsicht durch, dass, wie die Gewalt, auch ein Übermaß an Vorsicht auf die schiefe Bahn der Gefühllosigkeit führen kann.

© SZ vom 06.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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