Schauplatz Paris:Unternehmergeist

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Bruno Le Maire mit Unterstützern am Strand von La Baule. (Foto: Jean-Sebastien Evrard/AFP)

Die französischen Eliteschulen geraten wieder einmal in die Kritik - und die Absolventen bemühen sich nun, nicht nur Technokraten, sondern auch kreative Erfinder zu sein.

Von Joseph Hanimann

Die Steigerungsform des Ausdrucks "Eliten" heißt in Frankreich "Enarchen". Seit Jahrzehnten stellen die Absolventen der staatlichen Verwaltungshochschule Ena (École Nationale d'Administration) die Generaldirektoren der Großunternehmen, die hohen Beamten, oft auch die Staatspräsidenten - Giscard d'Estaing, Jacques Chirac, François Hollande. In Zeiten populistischer Obrigkeitsmüdigkeit dienen sie aber auch als die bösen Buben der Republik. Die Schmähung der 1945 gegründeten Institution, ein Wechselbalg aus Gaullismus und Kommunismus, gehört längst zur Routine des volkstümlichen Mainstream. Linkspolitiker wie Jean-Pierre Chevènement betitelten die Ena-Abgänger als "Hofschranzen der Bourgeoisie", der Soziologe Pierre Bourdieu analysierte deren Inzucht im engen Milieu der Pariser Oberschicht. "Gestern die Bastille, heute die Ena", lautete einst das Pamphlet einer Vereinigung, die sich für die Abschaffung der Kaderschule stark machte. Vorsorglich wurde diese 1991 von Paris nach Straßburg verlegt.

Wer heute mit Kritik gegen die Elitenkultur dieser Anstalt noch Schlagzeilen machen will, muss sich etwas Besonderes einfallen lassen. Zum Beispiel selbst ein ehemaliger Musterschüler der Ena sein. Das ist der Fall beim Politiker Bruno Le Maire, der in der Primärwahl der Partei der Républicains gegen Sarkozy und ein halbes Dutzend weitere Kandidaten - teilweise ebenfalls typische Ena-Abgänger - für den Präsidentschaftswahlkampf antritt. Die Ena habe ihre Aufgabe erfüllt, gefragt sei heute nicht mehr allgemeines Verwaltungstalent, sondern "Unternehmergeist, Kreativität, Erfindertum" - sollte er Staatspräsident werden, würde er die Ena abschaffen, erklärte der Kandidat Le Maire, der selber so ziemlich alle Diplome der französischen Eliteschulen in der Tasche hat und zu den feinsinnigsten, gebildetsten, formbewusstesten französischen Politikern gehört. Der Mittvierziger mit dem kristallklaren Blick und dem silbergrauen Haar ausgereifter Jugendlichkeit, Autor eines Romans über den Dirigenten Carlos Kleiber, ist in der schwierigen Lage, statt mit dem anbiedernden Poltern mancher Konkurrenten mit der Zurückhaltung und Besonnenheit seines Temperaments das Volk erreichen zu müssen. Er stehe zu seinen Diplomen, erklärt er beinah verschämt. Das darf er, denn das Kleinreden der eigenen großen Schulleistungen gehört in Frankreichs Elite mittlerweile zum Erkennungszeichen unter seinesgleichen. Jeder will dazugehören und weist das Dabeisein doch händeringend von sich.

Das Problem sei nicht so sehr die Ena, entgegnet der Soziologe Jean-Michel Eymeri-Douzans auf Le Maires Ankündigung, sondern die Art, wie diese Institution Kandidaten mit stets demselben Profil für die Aufnahme auswähle. Die jährlich circa hundert Schulabgänger übten ihren Beruf mehrheitlich kompetent und pflichtbewusst aus mit dem Ethos einer Epoche, in welcher der Begriff "Technokrat" noch kein Schimpfwort war, sondern respektvoll die Herrschaft der Wissenden bezeichnete, das heißt jener, die wissen, "wie es geht". Dass es so nicht mehr geht, hat sich im Volk aber herumgesprochen, und die Pariser Elite sucht mit gekonnten Verrenkungen der Selbstverleugnung im Kreis der Unternehmer, Erfinder und Abenteurer neu Position zu beziehen.

© SZ vom 14.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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