Schauplatz Moskau:Grober Aufriss

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In Moskau reißen gerade Baumaschinen viele Straßen auf, darunter die Parademeile, die Twerskaja-Straße. Das Verkehrschaos wird dadurch noch schlimmer. Vor allem aber werden dabei archäologische Überreste zerstört.

Von Julian Hans

Der letzte Panzer war kaum davongerollt, da kamen die Baumaschinen. Gleich nach der großen Parade zum 71. Tag des Sieges am 9. Mai rückten Laster an, Arbeiter in Signalwesten sperrten die Twerskaja-Straße ab, Bagger rissen sie auf. Die Twerskaja ist Moskaus Parade-Meile, vierspurig führt sie auf den Roten Platz zu. Heute erkennen die Moskauer ihre Prachtstraße nicht mehr wieder. Asphalt und Trottoirs sind aufgerissen, Fußgänger müssen durch ein Labyrinth aus Absperrungen, die Autos stauen sich noch schlimmer als sonst.

"Meine Straße" heißt das Großprojekt, mit dem Bürgermeister Sergej Sobjanin in den Sommermonaten insgesamt 2000 Hektar Stadtfläche umbuddeln lässt, davon 52 Straßen. Neue Kabel und Leitungen werden in den sandigen Boden gebracht. Die Moskauer sind genervt, Architekturschützer sind entsetzt: In den Kanälen, welche die Bagger ausgehoben haben, haben sie gemauerte Gewölbe entdeckt, die sie der sogenannten Weißen Stadt zurechnen, dem historischen Moskau des 16. Jahrhunderts.

Ein historischer Keller wurde schon zerstört, Kabelkanäle werden rücksichtslos durch alte Backsteinmauern getrieben. Das historische Pflaster des Puschkin-Platzes sei beschädigt, ein freigelegtes Gemäuer gehöre vermutlich zu einer 1933 zerstörten Kirche, warnen Aktivisten der Gruppe Archnadsor, die sich für das architektonische Erbe der Hauptstadt einsetzt.

Der Aktivist Konstantin Michailow erinnert daran, dass das Gesetz eigentlich eine Unterbrechung der Bauarbeiten verlangt, wenn Bagger archäologische Funde freilegen. Aber an eine Verzögerung ist nicht zu denken, im September sind Wahlen in Russland, bis dahin soll die Stadt wieder strahlen. Das Alte wird zugedeckt. Die Twerskaja erlebt das nicht zum ersten Mal: 1932 wurden im Zuge des großen Generalplans die meisten vor der Revolution errichteten Gebäude abgerissen und die Straße verbreitert - um Platz für Paraden zu schaffen.

© SZ vom 08.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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