Schauplatz Madrid:Braucht jede Stadt ihren Eiffelturm?

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Die Hauptstadt Spaniens hat endlich eines ihrer Postkartenmotive wieder, aber damit auch eine alte Diskussion.

Von Thomas Urban

Endlich sind die Gerüste und die riesigen Plastikbahnen mit der Reklame an der markanten Ecke im Zentrum Madrids verschwunden, an der die immer mehr zur Shopping- und Fast-Food-Meile degradierte Prachtstraße Gran Vía beginnt. Das Metropolis-Haus mit seiner von einer Siegesgöttin gekrönten Kuppel, erbaut in der Gründerzeit zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts von einer Versicherungsgesellschaft, erstrahlt wieder in altem Glanz. Die Hauptstadt Spaniens hat damit eines ihrer Postkartenmotive wieder, aber auch die alte Diskussion, warum Madrid die einzige Metropole in Europa ohne weltweit erkennbare "Landmarke" ist, wie es im Neusprech der Tourismusmanager heißt. Braucht eine Stadt ein unverwechselbares Wahrzeichen, wie es der Eiffelturm, die Tower Bridge, das Brandenburger Tor oder die Basilius-Kathedrale auf dem Roten Platz sind? Oder bei der Konkurrenz im eigenen Land, dem ungeliebten Barcelona, die noch nicht vollendete Kathedrale Sagrada Família des katalanischen Träumers Antonio Gaudí.

Die Fans von Real feiern vor dem Cibeles-Palast die Erfolge ihres Clubs

Madrid hat zwar die Almudena-Kathedrale, aber die ist grau und alles andere als unverwechselbar, ganz so wie das ebenso graue und langweilige Königsschloss gleich daneben. Da halten es die Touristen eher mit der Kathedrale der Kommunika-tionen. So hieß nämlich ursprünglich der gern fotografierte Cibeles-Palast, benannt nach der griechischen Göttin Kybele. Die war für Wagenrennen zuständig, die sich allerdings in Madrid nicht etablieren konnten. Bei seiner Einweihung vor einem Jahrhundert beherbergte der weiß leuchtende große Komplex im Zuckerbäckerstil, einem Mischmasch aus Neugotik, Neobarock und viel Kitsch, die Hauptpost und das Telegrafenamt. Der hochtrabende Name war eine Verbeugung vor der modernen Technik. Heute ist er ein städtisches Kulturzentrum, auf dem Platz mit dem Löwenbrunnen davor feiern die Fans von Real Madrid die Erfolge ihres Clubs.

Den Mangel an Wahrzeichen wollten vor anderthalb Jahrzehnten ausgerechnet die spanischen Bankdirektoren beheben: Sie ließen im Norden der Stadt vier Bankentürme errichten. In der Tat sind sie bei klarer Sicht aus großer Entfernung zu sehen. Dazu kamen, als Eingangsportal zum Finanzviertel, zwei schräg zueinander stehende Bürohochhäuser, gewissermaßen die moderne Version des schiefen Turms von Pisa im Doppelpack. Und die sind in der Tat zum oft abgebildeten Symbol geworden - für die große spanische Bankenkrise, die die ganze Wirtschaft in Schräglage gebracht hat. Doch in der Hitliste der auf Selfies versessenen Touristen steht keine der architektonischen und kulturellen Landmarken an der Spitze, sondern ein riesiger, grauer Klotz, der den Charme eines Parkhauses ausstrahlt: das Bernabeu-Stadion, in dem die Millionäre von Real Madrid ihrem Handwerk nachgehen. Der Vereinspräsident sagt: "Wir sind das Wahrzeichen von Madrid." Er meint nicht das Stadion, sondern den Club.

© SZ vom 17.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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