Schauplatz London:Shakespeare und die Frauen

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Das Globe Theatre will das authentische Erbe der Shakespeare-Tradition bewahren. Deshalb wurde die allzu innovative Leiterin Emma Rice nach nur zwei Jahren rausgeworfen und durch eine Schauspielerin ersetzt.

Von Alexander Menden

Die Umstände, unter denen Michelle Terry zur Künstlerischen Leiterin des Londoner Globe Theatre wurde, hätten kaum weniger vielversprechend sein können. Ihre Vorgängerin, Emma Rice, verließ nach nur zwei Jahren im Amt ihren Posten, nachdem der Vorstand des Theaters, der sie selbst geholt hatte, ihr trotz guter Auslastung nach einer Spielzeit das Vertrauen entzogen hatte. Rices Verwendung von Scheinwerfern und modernem Sounddesign, ja ihre ganze schräge Straßentheaterästhetik, hatten den Entscheidungsträgern nicht gepasst, die das Globe als Hüter elisabethanischer "Authentizität" betrachteten.

Ihre Amtsnachfolgerin Michelle Terry ist eine der aufregendsten Theaterschauspielerinnen ihrer Generation, hat aber keine Erfahrung als Theaterdirektorin. Die 39-Jährige wurde Globe-Chefin, nachdem sie in der Folge des Rice-Fiaskos an den Geschäftsführer Neil Constable geschrieben und ihn gefragt hatte, wie das alles so schief habe laufen können. Im Gegenzug bot er ihr den vakanten Posten an. Der Vorstand wird aufgeatmet haben, als sie das Angebot annahm. Man ersetzte eine Frau durch eine Frau, sicherte sich also zumindest in dieser Hinsicht gegen Vorwürfe patriarchaler Reaktion ab. Zugleich versprach man sich von ihr zweifellos eine Rückkehr zur unverstärkten, quasi-historischen Aufführungspraxis.

Terry ist seit 2007 immer wieder im Globe aufgetreten, unter anderem als Titania und Hippolyta im "Sommernachtstraum". Sie kennt daher das akustisch und optisch ungewöhnliche Terrain dieses Freilichttheaters, das sie, wie sie sagt, "mehr über Shakespeare gelehrt hat als jede andere Bühnenerfahrung". Ihr Verhältnis zum Schwan vom Avon ist zweifellos ein innigeres als das der skeptischen Fringe-Theatermacherin Rice. Doch trotz der ungewöhnlichen Umstände ihres Zustandekommens könnte eine durchaus aufregende neue Ära beginnen. Die Voraufführungen der ersten Saison unter Terrys Ägide haben gerade begonnen. Sie selbst spielt die Titelrolle in "Hamlet"; auch in der zweiten Eröffnungsinszenierung von "Wie es euch gefällt" werden sämtliche Figuren "gender blind" besetzt, also unabhängig davon, ob die Figur nominell einen männlichen oder weiblichen Schauspieler erfordert. Zwar gab es schon unter dem ersten Globe-Leiter Mark Rylance Produktionen, in denen alle Rollen von Männern gespielt wurden; 2003 war Kathryn Hunter ein grandioser Richard III. in einem reinen Frauenensemble. Eine ganze geschlechtsunspezifische Spielzeit hat es jedoch noch nie gegeben. Mitte Mai ist die offizielle Eröffnung der ersten Terry-Saison. Es ist der neuen Direktorin sehr zu wünschen, dass sie mehr Zeit hat, ihre Vorstellungen zu verwirklichen, als ihrer Vorgängerin gewährt wurde.

© SZ vom 02.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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