Schauplatz London:Im Taumel

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Die Titelfigur der britischen Serie "Doctor Who" ist ein humanoides Alien vom Planeten Gallifrey. Kinder lieben die Geschichte.

Von Alexander Menden

Es war zu erwarten, dass die Mehrheit der 7000 Menschen, die das seelenlose ExCel-Messezentrum im Südosten Londons vorübergehend in einen Karneval verwandeln, Hardcore-Fans sein würden. Ein kleines Mädchen hat sich als "Weinender Engel" verkleidet, ein Junge fährt als Davros, Schöpfer der Daleks, in einem umgebauten Rollstuhl herum, und eine Gruppe ist als "Clockwork Droids" mit Louis-XIV.-Perücken und gruseligen Masken gekommen. Doch die weitaus meisten sind in die unverkennbare Kleidung einer der zwölf Inkarnationen jener Figur geschlüpft, um die sich hier alles dreht: The Doctor!

Das Londoner "Doctor-Who"-Festival ist die Feier einer BBC-Science-Fiction-Serie, die sich in mehr als einem halben Jahrhundert ihrer Existenz zu einem weltweiten (und für den Sender lukrativen) Phänomen ausgewachsen hat. Als Ignorant kann man so ein Ereignis ohne geeignete Anleitung keinesfalls begreifen. Deshalb ist der 11-jährige Sohn mitgekommen, ein enthusiastischer "Whovian", dessen Sakko-Schleife-Kombi samt gewagter Haartolle ihn als elften Doktor kenntlich macht.

Vor Betreten des Festivals rasch noch ein Crash-Kurs: Die Titelfigur der Serie ist ein "Time Lord", ein humanoides Alien vom Planeten Gallifrey, das sich nach tödlichen Verletzungen in neuer Gestalt regeneriert. In Begleitung wechselnder Mitstreiter reist er durch Zeit und Raum, um Monster und Bösewichter zu bekämpfen. Dazu benutzt er eine Zeitmaschine namens "Tardis", die von außen wie eine altmodische britische Polizei-Notrufzelle aussieht. Sein wichtigstes Hilfsmittel ist ein "Schallschraubenzieher", mit dem er Maschinen reparieren, Türen öffnen und Wunden heilen kann.

Selbst wenn man wenig Ahnung hat, kann man sich dem Zauber dieser bizarren Fantasy-Welt nicht entziehen, und für wahre Afficionados muss das Festival wie ein Traum sein: Originalkostüme, Alienmasken, die man anprobieren, Filmsets, in denen man Selfies machen kann, und ein Tardis aus Lego. Natürlich ist das Ganze auch eine Kommerzorgie; man kann hier alles kaufen: von handgestrickten Doktor-Schals über flauschige Schallschraubenzieher für Babies bis zu perfekten Kopien der Daleks. Das sind böse Cyborgs, die wie bewaffnete Mülleimer aussehen.

Einsamer Höhepunkt ist dann der Auftritt der Darsteller in einem riesigen Auditorium. Peter Capaldi, der zurzeit den Doktor spielt, ist ein extrem cooler Schotte. Die Verehrung der Fans nimmt er mit freundlicher Nonchalance. Er weiß ja: das gilt nicht so sehr ihm wie der Figur. Und wo sonst bekäme eine Anekdote einen Riesenlacher, die mit der Pointe endet: ". . . und dann flog sie direkt in den Mond"? Da wird auch dem Außenstehenden endgültig klar, was den Charme dieser auf den ersten Blick ein bisschen albernen Veranstaltung ausmacht: Hier sind die Menschen so, wie man sie sich auch im Alltag wünscht: enthusiastisch, vorurteilsfrei und friedlich.

© SZ vom 18.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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