Schauplatz Kiew:Bunte Eier, ferne Kugeln

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Die Ukrainer feiern erst jetzt Ostern - aber wie! Mit Musik auf den Straßen und blühendem Flieder. So heiter hat sich Kiew seit Jahren nicht angefühlt. Dabei ist der Krieg gerade wieder aufgeflammt. Nur ist er eben weit weg.

Von Cathrin Kahlweit

Wenn die Ukrainer das orthodoxe Osterfest feiern, dann ist das eine große Sache. Weil das Datum entsprechend des julianischen Kalenders später gefeiert wird als im Westen, ist das Wetter meist schon wärmer, und weil es in diesem Jahr nicht nur frühlingswarm, sondern fast schon sommerlich heiß ist in Kiew, sind praktisch alle Einwohner der Hauptstadt auf den Straßen. Die Nacht zum Ostersonntag, die viele Ukrainer in der Kirche verbringen, ist vorbei, der Pascha, der pyramidenförmige Quarkkuchen, ist gebacken, jetzt geht man Eier schauen, Mega-Monster-Show-Eier.

Vor der Sophien-Kathedrale ist der ganze Platz abgesperrt. Ostereier, riesengroß und kunterbunt, sind innerhalb des Terrains auf Ständern postiert und kunstvoll bemalt worden - Ornamente, Tiere, sakrale, botanische Motive, alles da. Die Pisanki, die Eier, sind Kunstwerke, um die man staunend herumwandelt. Dreidimensionale Sensationen, der Platz ist voll mit Besuchern bis spät in die Nacht. Eine laute, wilde Party rund ums Ei.

Davor, daneben, rundum, immerzu wird gegessen. Eine Blaskapelle spielt, die Kakofonie wird verstärkt durch junge Musiker, die am Straßenrand ihr Geld für das Studium mit Jazz aufbessern, Händler verkaufen Fleischspieße, gebratene Teigtaschen, Hauptattraktion bei den Essständen aber ist ein Mann, der Kartoffeln auf einen Spieß steckt, das Gemüse dann spiralförmig aufschneidet und frittiert. Die Schlange zieht sich bis zu den Karussells, die ein Schokoladenhersteller (nein, es ist nicht die Firma des Präsidenten) aufgebaut hat.

Mädchen in bestickten Blusen, Kosaken im Festtagsgewand: Tradition wird hier zum Merkmal kollektiver Selbstdarstellung einer Gesellschaft im Identitätsrausch. Wir sind Ukraine.

So heiter hat sich Kiew seit zwei Jahren nicht angefühlt. Der Maidan: weit und leer. Erinnerungsfotos der Toten, die vor mehr als zwei Jahren im Februar beim letzten Aufbäumen des Regimes Janukowitsch erschossen wurden, sind für den Tag beiseitegeräumt. Auf den Straßen kaum noch Uniformierte, keine Spendensammler mehr unterwegs für den Krieg. Ach ja, der Krieg.

Der ist stärker aufgeflammt als seit Monaten. Der Waffenstillstand, der nie einer war, ist einem fern der Front wenig beachteten Dauerfeuer gewichen, es wird wieder mehr gestorben, auf beiden Seiten. Die Konfliktparteien hatten, weil Ostern ist, zwar eine echte Waffenruhe in der offiziellen Waffenruhe vereinbart, aber die hält nicht.

Aus dem Alltag in der Ukraine beginnt der Krieg im Osten zu verschwinden; er wird vergessen, verdrängt. In Kiew ist er weiter weg denn je, der Flieder blüht - eine Atempause lang.

© SZ vom 04.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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