Schauplatz Berlin:Schweigen ist Fasten in der Sprache

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Berlin hat in den letzten Jahren mehr schlecht als recht Fasching gefeiert - aber der Aschermittwoch klappt schon ganz gut.

Von Lothar Müller

Wer in Berlin die Kirche Maria Regina Martyrum besucht, tut gut daran, sich ihr vom Westhafen her zu nähern, an der Justizvollzugsanstalt und an der Gedenkstätte Plötzensee vorbei, an den Kleingartenkolonien entlang, die es schon gab, als die Kirche in den frühen Sechzigerjahren errichtet wurde, um beides zu sein, zentrale Gedenkkirche der deutschen Katholiken "zu Ehren der Blutzeugen für Glaubens- und Gewissensfreiheit in den Jahren 1933 bis 1945" und Pfarrkirche für das Neubaugebiet im nördlichen Charlottenburg. Auf den Bodenplatten in der Kirche begegnet der Besucher den Namensgebern der Straßen dieser Gegend, dem Berliner Dompropst Bernhard Lichtenberg, der auf dem Transport ins Konzentrationslager Dachau starb, dem Protestanten Helmuth James Graf von Moltke, der in Plötzensee hingerichtet wurde.

Etwas betont Karges, Strenges strahlt diese Kirche mit den kahlen Betonwänden in der oberen Halle aus, in der die Skulptur der Madonna mit Kind aus dem frühen 14. Jahrhundert im Altarraum steht. Die vergoldete Bronzeskulptur "Apokalyptische Frau" an der Fassade über dem Eingangsportal stammt von dem Bildhauer Fritz Koenig, der vor gut einer Woche verstorben ist. Unter seiner Skulptur strömten in dieser Woche Hunderte in die Kirche Maria Regina Martyrum zum "Aschermittwoch der Künstler".

Berlin hat in den letzten Jahren gelegentlich versucht, so etwas wie einen Fasching oder Karneval zustande zu bringen, mit mäßigem Erfolg. Aber Aschermittwochstraditionen kann es auch dort geben, wo Büttenreden angestrengt wirken. Der "Aschermittwoch der Künstler" findet in Berlin ein großes Publikum. Er wird mit einer ökumenischen Vesper begangen. Wenn dabei das Epos-Quartett Joseph Haydns "Die Sieben letzten Worte Jesu unseres Erlösers" spielt, ist das zugleich Kirchenmusik und Konzert.

Auf die Ansprachen und die Predigt des katholischen Erzbischofs und des evangelischen Bischofs, auf das Totengedenken und die Ausgabe des Aschekreuzes folgt am Ende eine Künstlerrede. Die Schriftstellerin Annette Pehnt und die Theologen variierten einen Gedanken aus zwei Perspektiven, die Hoffnung auf eine Parallelaktion von Sprache der Religion und Sprache der Kunst im gemeinsamen Heraustreten aus der Sprache des Alltags. Für die Theologen wie die Autorin lag es nahe, dieses Heraustreten mit einem Lob der Stille und des Schweigens zu verbinden. Denn Schweigen ist Fasten in der Sprache. Wie lebendig aber im vorgeblich durch und durch säkularen Berlin das Vertrauen auf das Gebet als Sprachmagie noch ist, zeigte der randvoll mit gefalteten weißen Zetteln gefüllte Brotkorb. Mit Bleistift haben darauf die Kirchenbesucher ihre Anliegen verzeichnet, die sie in die nächsten Fürbitten aufgenommen wissen wollen.

© SZ vom 03.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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