Schauplatz Berlin:Rettet die Spätis

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Ein Lob auf die Kiez-Kultur und die Spätis. Die Nacht-Verkaufsstellen. Damit Berlin nicht München wird!

Von Jens Bisky

Die Berliner fragen sich, wo sie hier eigentlich sind. Nicht alle, aber immerhin schon 26 580 von ihnen treibt diese Frage um. Sie haben auf change.org eine Petition unterschrieben: "Rettet unsere Spätis und Berlins einmalige Kiez-Kultur".

Rund 1000 Spätis - Spätverkaufsstellen - gibt es in der Stadt. Es sind provozierend schicke darunter und abgeranzte, große und kleine, spezialisierte und allgemeine, die nichts als die Grundversorgung mit Alkohol, Säften, Tabak, Zeitungen und Brot sicherstellen. Eines aber ist allen gemein: Sie haben immer geöffnet, oder doch fast immer. Eines Sonntags aber entdeckte Christina Jurgeit einen Späti, der nach Ärger mit dem Ordnungsamt geschlossen hatte. Das Ladenöffnungsgesetz untersagt den Spätis sonntäglichen Alkoholverkauf und sieht auch sonst allerlei Einschränkungen vor. Meist schert sich keiner darum. In jüngster Zeit aber kontrollieren die Ordnungsämter - vor allem in Neukölln - und verhängen hohe Bußgelder.

Über weitere Verbote wird in der unberatenen Landespolitik diskutiert. Und das in einer Stadt, die den Kalten Krieg nur deshalb leidlich überstanden hat, weil es in Westberlin seit 1949 keine Sperrstunde gab; in einer Stadt, die so viele junge Besucher anzieht, weil sie erst nachts schön wird. In den Spätis mischen sich Milieus und Kulturen. Sie funktionieren, als wären sie öffentlicher Raum. Der Gesetzgeber sollte sie, das fordert die Petition, mit Tankstellen und Bahnhofsläden gleichstellen.

Geöffnet sonntags nur von acht bis sechzehn Uhr, ohne Alkohol und Tabak? "Man fragt sich", schreibt Christina Jurgeit, "wo bin ich hier eigentlich? In Berlin oder schon in München?" Im Berlinischen ist "München" selten der Name einer Stadt, meist ein Synonym für "leblos", "überteuert", "steril". Es gibt noch mehr Synonyme für "da kann man nicht leben": "Berlin darf nicht Tauberbischofsheim werden", schreibt ein Unterstützer. Er zitiert die berühmte Weissagung der Spree: "Erst wenn der letzte Späti aufgibt, der letzte Club schließt, das letzte Scheißkind Finn Pablo Leopold heißt, werdet Ihr merken, dass es Stuttgart schon gibt."

Damit ist alles gesagt: Wo bitte sollen denn Christina, Kevin, Paul und Cindy mit Pablo, Finn, Mia und Leopold über die Unterschiede zwischen München, Stuttgart und Tauberbischofsheim diskutieren? Richtig - im Späti!

© SZ vom 26.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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