Schauplatz Berlin:Recke mit Westbindung

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Im Botschaftsviertel am Tiergarten, unweit der Philharmonie, steckt eine vielsprachige, verwickelte Erzählung über das zwanzigste Jahrhundert. In ihr tritt auch ein Recke aus dem Kaukasus, der Held des georgischen Nationalepos, auf.

Von Lothar Müller

Im Botschaftsviertel am Tiergarten steckt eine vielsprachige Erzählung über das zwanzigste Jahrhundert. Ihr Schlüsselmoment ist der Plan der Nationalsozialisten, Berlin in die "Welthauptstadt Germania" zu verwandeln. Durch ihn entstand das "Diplomatenviertel", um im Regierungsviertel um das Brandenburger Tor Raum für die städtebauliche Neuordnung zu schaffen. Davon erzählt das klassizistisch strenge Gebäude in der Rauchstraße 11, das sich hinter einer Hecke und einem schmiedeeisernen Tor mit seinen drei Hauptgeschossen auf einem Sockelgeschoss erhebt. Als es 1941 fertiggestellt wurde, war Norwegen, für dessen Gesandtschaft es errichtet worden war, von den Deutschen besetzt. Ehe es in der alten, von Bonn aus regierten Bundesrepublik in einen Dornröschenschlaf fiel, war es nach 1945 Sitz der norwegischen Militärkommission. Deren Presseattaché war bis Ende 1947 der norwegische Staatsbürger Willy Brandt.

Längst gibt es in der Nachbarschaft die Nordischen Botschaften, in deren lichtes Ensemble 1999 auch Norwegen einzog. Inzwischen residiert in der Rauchstraße 11 die georgische Botschaft, die sich das Gebäude mit Immobilienentwicklern, Finanzberatern, Kanzleien teilt. Georgien ist Gastland der Frankfurter Buchmesse im Herbst 2018. Das georgische Nationalepos "Der Recke im Tigerfell" von Schota Rustaweli wird eine Hauptrolle spielen. Zur Vorbereitung wurde am Mittwoch in der Botschaft die Berliner Organisation der georgischen Rustaweli-Gesellschaft feierlich begründet. Im Epos müssen die georgischen Helden um arabischer und indischer Prinzessinnen willen ihre Abenteuer bestehen und Schlachten schlagen. Jetzt bilden in den holzgetäfelten Gesellschaftsräumen im ersten Stock der Rauchstraße 11 die deutsche, die georgische und die Flagge der Europäischen Union ein friedliches Trio. Georgien ist auf dem Weg nach Westen. Eine Schautafel erinnert an die Demokratische Republik Georgien, die Deutschland 1918 als erster Staat anerkannte. Auf einem Tisch liegen Freiexemplare einer Nacherzählung des Nationalepos "für deutsche Kinder". Sie erschien 1929. Da war Tiflis Hauptstadt der "Transkaukasischen Sowjetrepublik", viele georgische Exilanten lebten in Berlin. 1922, kurz nach der Zerschlagung der Republik Georgien, wurde erstmals eine "Rustaweli-Gesellschaft" in Berlin gegründet.

© SZ vom 15.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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