Schauplatz Berlin:In Mitte glänzt ein neuer Turm

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Mitten im Zentrum unweit des Alexanderplatzes, aber doch im Abseits, steht die Parochialkirche. Sie wurde im Krieg zerstört, in der DDR neu errichtet - aber ohne Turm und Glockenspiel. Das ändert sich in diesen Tagen.

Von Jens Bisky

Die Mitte Berlins birgt viele stille Ecken, Inseln der Abgeschiedenheit - etwa am U-Bahnhof Klosterstraße, gleich neben der mehrspurigen Grunerstraße, ein paar Schritte nur von Alexanderplatz und Fernsehturm entfernt. In der Nachbarschaft träumen ein paar Reste der älteren Stadtgeschichte vor sich hin: die Ruine der Klosterkirche, Reste der Stadtmauer, die Kneipe "Zur letzten Instanz" zelebriert Urberlinertum. In diesen Tagen ragt dort ein Kran hoch auf und kupfern glänzende Teile schweben vor Sommerhimmelblau: der Glockenturm der Parochialkirche wird wiedererrichtet.

Nur sehr alte Berliner erinnern sich an die Zeiten, als das Geläute vom Turm der Parochialkirche noch eine Touristenattraktion war. 1944 zerstörten Bomben die Kirche, der Turm wurde vernichtet. Das Kirchengebäude wurde nach dem Krieg wiederhergestellt, so gut es ging in DDR-Zeiten, ab 1991 dann mit historisch informierter Gründlichkeit. Nur der Turm fehlte weiterhin. Das zu ändern, sammelte der Verein "Denk mal an Berlin" Spenden, eine große Summe gab der Stadtmöblierungsunternehmer Hans Wall, die Klassenlotterie half. Glocken- und Uhrengeschoss sind schon montiert. Am Donnerstagmorgen begann das Aufsetzen des Turmhelms mit Spindeltreppe. Kaiserstiel und eine grinsende Sonne lagen montagefertig am Boden. Sie werden den 65 Meter hohen Turm krönen, wenn an diesem Freitag Richtfest gefeiert wird. Das neue Glockenspiel zählt 52 Glocken.

Die Kirche stammt aus der Zeit der ersten preußischen Könige, sie war das erste eigens für Reformierte erbaute Gotteshaus, für eine Elite der Stadt also, die der selben Konfession wie das Herrscherhaus angehörte. Nun hatten der schiefe Fritz, der noch als Kurfürst den Bau der Kirche genehmigte und sein Sohn, der Soldatenkönig, mit dem Bauen, zumal dem von Türmen, so viel Pech wie Jahrhunderte später Klaus Wowereit mit Entrauchungsanlagen. Das Gewölbe der Parochialkirche stürzte, kaum schien es 1698 fertig zu sein, wieder ein, auf den Turm musste bis 1714 gewartet werden. Zunächst nahm er das Glockenspiel auf, das für Andreas Schlüters Münzturm gegossen worden war, der ja auch nicht halten, nicht stehen bleiben wollte. Und als dann die Glocken im Turm der Parochialkirche hingen - 1715 - klangen sie unsauber. Ein neues Glockenspiel wurde in Auftrag gegeben, das es zu großer Berühmtheit brachte - in den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts waren die wechselnden Melodien der Parochialkirchenglocken im Rundfunk zu hören.

Nun kann man neugierig sein auf das neue Glockenspiel im Turm mit den Löwen. Nebenan entsteht eine Wohnanlage, dicht gepackt, viel Schein. Überall in der Mitte, die manche die "historische" nennen, tut sich was. Wenn es gut geht, wird es ein neuer Kiez mit Glockenklang.

© SZ vom 01.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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