Schauplatz Berlin:Es wird wieder weiß

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In einem ehemaligen Kaufhaus aus den Zwanzigern feiert eine Ausstellung die Energien, denen das neue Berlin seine Liebenswürdigkeit verdankt.

Von Jens Bisky

Wer durch die Tür in der Brunnenstraße tritt, der fühlt sich gleich willkommen, als wäre der Raum für ihn gemacht, als riefen Pfeiler und Treppen: "Hier ist die Bühne, deine Bühne!" Das wird nicht mehr lange so sein. Die Sanierung beginnt bald, und teure Umbauten verwandeln Bühnen meist in Spiegelkabinette, die Wichtigkeiten ihre Wichtigkeit bestätigen. Noch aber, bis Sonntagnacht, kann das Kaufhaus Jandorf besucht werden. Die Galerie Deschler hat eine Abschiedswoche organisiert, 5000 Gäste waren schon da.

Das Kaufhaus, fünfgeschossig, runde Ecke, elegant emporstrebende Fassade, liegt an einer Straßenkreuzung gegenüber dem Weinbergspark. Adolf Jandorf, der später das "KaDeWe" erfand, hatte hier zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts ein modernes Warenhaus errichten lassen. In den Zwanzigerjahren übernahm es der Tietz-Konzern und passte das Innere dem neusachlichen Zeitgeist an. Später residierte hier das Modeinstitut der DDR.

So kann man Spuren jeder Epoche entdecken, aber zuerst fallen die großen Wandbilder ins Auge, Gesichter, die auf Antwort warten, Figuren, mit denen man reden, in den Abend hinübergleiten will. In Nachtschichten hat der Schweizer Künstler Luciano Castelli sie für diesen Raum geschaffen. "From White to White" heißt das Kunstereignis, das noch einmal die Energien feiert, denen das neue Berlin seine Liebenswürdigkeit verdankt.

In einem eigenen Raum hängen zwei mal drei Meter große Fotoausdrucke, Werke Sven Marquardts, Porträts aus der Clubszene, als deren Symbol Marquardt, Türsteher des Berghain, seit Langem figuriert. "Rudel" heißt die Serie. Auch in Castellis Biografie spielt das Nachtleben die ihm gebührende Rolle. Er kam Ende der Siebzigerjahre nach Westberlin, war mit Rainer Fetting einer der Wilden vom Moritzplatz. Er sang, spielte Bass in der Avantgarde-Band Geile Tiere, von deren Auftritten Legenden erzählt werden, Geschichten aus dem "Dschungel", der Disco in der Nürnberger Straße. Dort wurde, links ein Promi, rechts ein Star, der neue urbane Habitus erprobt: heiße Musik, Neonlicht, Gin, kochende Tanzfläche, alle kühl, kein Gefühl.

Kaltgetränke, Musik (Bettina Köster), Filme (Miron Zownir) gibt es noch für ein paar Abende im Kaufhaus Jandorf, mitten in der Ausstellung auf zwei Etagen. Dann wird alles wieder weiß übermalt. Die Sanierung kann beginnen. Ein Bildband wird die letzte Woche des Kaufhauses Jandorf dokumentieren. Vielleicht ist auch ein Blick nach draußen dabei, durch die schönen alten Fenster auf die Kreuzung Veteranenstraße/Brunnenstraße. Wenige Schritte von hier verlief die Mauer, ein paar Schritte in die andere Richtung beginnt das Viertel der leicht gealterten Lifestyle-Avantgarde. Durch die Fenster - "Nicht öffnen!" - schaut man auf Ampeln, Straßenbahnschienen, Staus. Es ist voll hier. In diesem Übergangsareal zwischen Mitte und Wedding entsteht derzeit eine andere urbane Atmosphäre. Ins Kaufhaus wird wohl eine Konzernzentrale einziehen.

© SZ vom 03.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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