Schauplatz Berlin:Eine Bausünde verschwindet

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In der Gegend, die durch Christiane F. und ihre Freunde berühmt geworden ist, tummeln sich nun Abrissbirnen. Der alte Westen wird geliftet und aufgehübscht zur City West.

Von Lothar Müller

Bagger reißen Fensterfronten auf, Abrissbirnen schlagen gegen Betonpfeiler. Verschreckt flattern die Namen längst verschwundener Bewohner auf, die über dem Häuserblock zwischen Kantstraße und Hardenbergstraße schwebten. Aus den schwarzen Fensterhöhlen quillt wie Staub die Erinnerung an das Westberlin der Siebziger- und Achtzigerjahre, als die Kinder vom Bahnhof Zoo den Straßenstrich und das Drogenmilieu dieser Gegend berühmt machten. Die Verfilmung war noch nicht in den Kinos, da trat 1981 ein Regierender Bürgermeister zurück. Er war über die Garski-Affäre gestolpert, einen der vielen Bauskandale. Über hundert Millionen Mark für ein Projekt im Nahen Osten waren irgendwo im Wüstensand Saudi-Arabiens versickert.

Der Architekt und Bauunternehmer Dietrich Garski, in dessen Konkursloch die Landesbürgschaft stürzte, hatte 1973 das "Aschinger-Haus" gebaut. Der Name der alten Schnellrestaurant-Kette, die zuvor hier residiert hatte, war ein guter Name. Der Neubau aber reihte sich ein in die Phalanx der Bausünden. Und wurde zur "Schmuddelecke" mit Sexshops und dunklen, schlecht riechenden Winkeln in höhlenartigen Arkaden neben Imbissen und Ramschläden. Sie führten auf das "Leineweber"-Haus zu, das seinen Namen dem Bekleidungsgeschäft verdankte, das hier 1955 eine Filiale errichtet hatte. Es behielt ihn auch nach dem Mauerfall, und der ironisch gestimmte Zeitgeist sorgte dafür, dass in das ehemalige Bekleidungsgeschäft die Firma Beate Uhse einzog und ihr "Erotik-Museum" eröffnete. Nach und nach mussten alle aus dem "Aschinger-Haus" ausziehen: der Ex-Herthaner Hans Weiner, der das "Holst am Zoo" übernommen und in "Hanne am Zoo" umbenannt hatte und immer noch nach einem neuen Standort für eine Fußballkneipe am Bahnhof Zoo suchen soll, die Pfandleihe und die Imbisse, das Hostel, der Supermarkt.

Bahnhof Zoo und Ku'damm werden wieder mal geliftet und heißen jetzt City West. Die Bausünde büßt unter den Schlägen der Abrissbirne. Niemand weint der Schmuddelecke eine Träne nach. Aber um eins ist es schade: um das Blumengeschäft, das sich zur Joachimsthaler Straße hin öffnete wie ein Marktstand. Nein, es war keine Sumpfblüte. Über dieses Geschäft wachten neben den Namensgeistern Aschinger und Leineweber, den Göttern der schnellen Mahlzeit und der städtischen Bekleidung, die Schutzheiligen der Gäste, die zur Abendeinladung eilen und für ein Rendezvous unbedingt noch einen Strauß Blumen brauchen. Das Blumengeschäft war, natürlich mit Migrationshintergrund, verlässlich und freundlich da, bei Sonne und Regen, tagsüber und spät in der Nacht, wenn die Blumen unter Flutlicht ihre Reize spielen ließen. Allerweltsblumen waren sie nicht, selbst die kleinen Topfblumen nicht, und schon gar nicht die eleganten, langstieligen Schnittblumen in ihren knisternden transparenten Zellophankleidern. Dafür, dass sie wie Fleurs du Mal aussahen, konnten sie nichts, über Bausünden sahen sie hinweg. Jetzt sind sie verschwunden. Ungewiss ist, ob sie wiederkommen, wenn im nächsten Jahr die Modegeschäfte hinter die Glasfassade ziehen, die der amerikanische Investor hier bauen will.

© SZ vom 08.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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