Schauplatz Berlin:Don Pepino und sein Publikum

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Die Kunst des Straßentheaters beginnt mit einer festen Umarmung und endet mit einem Handstand: Wie sich ein Clown auf dem Washingtonplatz eine Schar von Zuschauern erobert und in Beifall badet.

Von Lothar Müller

Verzweifelt umarmt Don Pepino seine einzige Zuschauerin. Eben erst hat er die Bühne betreten, mit ausgebeultem Filzhut, den Wanderstock locker in der einen Hand, mit der anderen die gürtellose Hose festhaltend, ein Lächeln für das Publikum im Gesicht. Aber da war kein Publikum. Bei der Akrobatik-Nummer, als der Afrikaner im gelben T-Shirt einen Salto nach dem andern schlug, war es noch da. Dann in der Pause haben sich die Holzbänke geleert. Sie leeren sich immer schnell, wenn die Artisten eine Büchse oder einen Hut kreisen lassen. Der Penner mit der Drogeriemarktplastiktüte ist gegangen, als der Tramp aus der Kulisse trat.

Don Pepino hat sich seinen Auftritt beim Straßentheater-Festival "Berlin lacht!" anders vorgestellt. Der Washingtonplatz vor dem Hauptbahnhof ist ja nicht gerade abgelegen. Vom nahen Tiergarten führt ein Spazierweg hierher, an der Spree entlang. Zur Kulisse gehören die Reichstagskuppel, neben der gerade ein Fesselballon schwebt, und das Kanzleramt, Touristen, Pendler, elegante Damen und erschöpfte Herren kommen vorbei. Noch immer hält Don Pepino seine einzige Zuschauerin fest. Dann lässt er sie los, und es beginnt eine wunderbare Nummer. Don Pepino führt vor, wie sich ein Clown sein Publikum erobert. Nicht ein Publikum, das schon da ist, sondern ein Publikum, das es noch nicht gibt. "This is not the show", sagt er, "this is the soundcheck." Und plötzlich ist ein Gestänge um seinen Hals, samt Mundharmonika, und damit bezirzt er ein Liebespaar, das eigentlich der Crêpes-Bude zustrebt. Kaum sitzen sie auf der Zuschauerbank, nimmt Don Pepino dem schwarz gekleideten Mann, der vorbeischlendern will, seine Aktentasche weg, und schon ist der leere Liegestuhl am anderen Bühnenrand besetzt. Wenig später ist auch ein altes Paar mit buntem Koffer gewonnen. Und als er seinen Diabolo vom gespannten Seil in den Abendhimmel steigen lässt, hat er aus den Augenwinkeln schon sein nächstes Opfer ausgespäht.

Es ist ein kleiner Junge, ein Glücksfall für Don Pepino, der nun daran geht, das Publikum, das schon da ist, vollends zu erobern. Er weiß, dass es sich nun, durch die Kindernummer, unweigerlich vergrößern wird. Er steht jetzt auf kleinen, von Eisenstangen gestützten Brettchen wie auf Stelzen da. Ständig fällt ihm eine der fünf roten Kugeln, die er an die Brust drückt, zu Boden. Immer wieder hebt der kleine Junge sie auf, geduldig, nicht ohne Lust an der Wiederholung. Es macht nichts, dass der Mann im schwarzen Anzug keine Zeit mehr hat, seine Aktentasche ergreift und in Richtung Bahnhof verschwindet, der Liegestuhl füllt sich jetzt von selbst. Nun fällt die rote Kugel, die der kleine Junge Don Pepino vom Bühnenrand aus zuwirft, nicht mehr zu Boden, nun ist sie Teil der Jongliernummer, folgt wie die anderen Kugeln dem Rhythmus der Musik, bleibt auf dem Arm ruhen, während ein Tuch unter ihr weggezogen wird. Don Pepino hat gewonnen, er kann nun sogar die Zeit seines Auftritts überziehen, beim Handstand auf schwankendem Grund im Beifall baden, als er auf einer Hand dasteht. Und am Ende bleibt das Publikum sogar da, als sein Hut zu kreisen beginnt.

© SZ vom 18.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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