Schauplatz Berlin:Die Hauptstadt als Bühne der Geschichte

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Zunächst hält man es für stadttypische Übertreibung: Das neue Museum "The Gate" verspricht ein Weltgeschichtsereignis. Doch nicht viel später lässt der Gast sich gerne von der Ausstellung überwältigen.

Von Jens Bisky

In der guten Stube der Berliner Republik wartet ein neues Geschichtsetablissement auf Gäste. "The Gate", das sind ein paar Kellerräume im Haus Pariser Platz 4 a, an der Ecke zur französischen Botschaft. Versprochen wird ein Weltgeschichtserlebnis, man ist geneigt, das für die stadttypische Übertreibung zu halten. Draußen am Tor steht ein Trabi voll gepackt mit Plüschfiguren des DDR-Kinderfernsehens, Pittiplatsch, Schnatterinchen und so. Stadtführer halten Berlinpläne mit eingezeichneten Sektorengrenzen hoch. Etwas in der Art vermutet man auch in "The Gate": Nachbau, Nippes, Nostalgie, Nachfühlen für Leute, die mit dem Rollkoffer denken.

Ein großes, dunkles Zimmer erwartet den Besucher: viele, viele Bildschirme, u-förmig aufgestellt; Hocker davor; Spiegel gibt es auch. Zwanzig Minuten dauert die Multimediashow über gut drei Jahrhunderte Stadtgeschichte. Es beginnt mit den Wachhäuschen an jener Stelle, an der von 1788 an das Brandenburger Tor errichtet wurde, auf dem dann bald Eirene, die Friedensgöttin, die Quadriga lenkte. Rasch wechseln Zeichnungen, Pläne, historische Ansichten, Napoleon reitet ein, Quadriga weg, Quadriga da, das Bürgertum meldet sich, Revolution, Industrie, Kaiserreich.

Nun gibt es auch historische Filmaufnahmen, die Skepsis verlässt den Besucher. Er soll überwältigt werden - und gern lässt er das zu, denn es geschieht mit Tempo, Witz und Takt. Vor allem die Nachkriegszeit haben die Macher von Triad Edutainment Enterprises klug zusammengerafft: Die Alliierten kommen, es wird aufgeräumt, man sieht in offene Wohnstuben zerbombter Häuser, sieht Trümmerbeseitigung, Tanzvergnügen, Rückkehr des Lebens, plötzlich aber Blockade.

Eine gute alte Schreibmaschine tippt "1961-1989" an die Längswand, darunter den unvermeidlichen Ulbricht-Satz von der Absicht, die niemand hat: Dann fallen Betonteile herab, verriegeln die Aussicht. Mit viel Multimedia-Aufwand belebt "The Gate" die gute alte Kunst der panoramatischen Geschichtsvergegenwärtigung. Gesehen haben muss man das Revolutionswimmelbild vom 4. November 1989, die großen drei kommen mit je einem Satz zu Wort: Christa Wolf, Heiner Müller, Stefan Heym. Ein Lidschlag, und man sieht die Brache in der Stadtmitte, Berlin 1990, dann geht es hinab zu Techno und Lebensfreude, hinauf zu Baustellen: Kräne, Kräne, Gerüste. Und dann erscheint die jüngste Zeit als eine Folge von Partys: Silvester, Loveparade, Public Viewing, die Weltmeistermannschaft am Tor. An irgendeiner Stelle dieser zwanzig Minuten flutet das Geschichtsgefühl den Besucher. Wer es abkühlen will, kann das im Nachbarraum tun: vor einer Folge historischer Ansichten und Postkarten zur Geschichte des Brandenburger Tores und des Pariser Platzes. Kleine, kuriose, komplizierte Geschichten werden in Berlin an vielen Orten erzählt. Im neuen Geschichtskeller "The Gate" fasst man grandios zusammen, kondensiert. Hier wird Berlin als Bühne der Geschichte verlebendigt. Vierzig Minuten war man drunten und glaubt plötzlich wieder an den Satz: Vor Gott sind eigentlich alle Menschen Berliner.

© SZ vom 06.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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