Schauplatz Berlin:Dem Wasser zugewandt

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Berlin stellt Millionen für die neue öffentliche Badekultur. Strandbars, Liegestühle: die Versüdlichung ist in vollem Gange.

Von Lothar Müller

Neulich, das Wasser war noch recht kalt, ist jemand im Neoprenanzug in den Spreekanal gestiegen und vom Bodemuseum aus Richtung Außenministerium geschwommen. Er kam an ziemlich vielen Baustellen vorbei, am Pergamonmuseum, und, nach der Unterquerung der Schlossbrücke, am Rohbau des Humboldt-Forums. Der Mann, ein Testschwimmer im Auftrag des Tagesspiegel, war im künftigen Badebereich des Spreekanals unterwegs. Im November 2014 bewilligte der Bund 2,6 Millionen Euro für das Projekt "Flussbad Berlin". Der damalige Stadtentwicklungssenator Michael Müller, inzwischen Regierender Bürgermeister, fügte hinzu, Berlin werde sich mit 1,4 Millionen Euro beteiligen, um mit dem Verein, der das Projekt seit Jahren vorschlägt, "am Rande der Museumsinsel den Spreekanal auf einer Länge von 750 Metern zu einem der größten, schönsten und frei zugänglichen Schwimmbecken zu entwickeln". Mehr und mehr hat sich Berlin dem Wasser zugewandt. Am Moabiter Werder ist eine schöne Promenade entstanden. Wer im Sommer den Hauptbahnhof auf der Südseite am Washingtonplatz verlässt, blickt beim Überqueren der Spree auf die Liegestühle einer Strandbar. Die Versüdlichung Berlins hat auf den Bürgersteigen begonnen, wo Heizpilze dafür sorgten, dass das öffentliche Leben auf der Straße auch in kalten Nächten nicht erlahmte. Die Strandbars setzten das fort, das Flussbad mit Blick auf Museumsinsel, Lustgarten und Dom trägt das Freizeitflair ins Zentrum des alten Berlin.

Eine schilfbewachsene Biokläranlage soll das Wasser des Spreekanals reinigen, ehe es in den Badebereich fließt. Klingt wunderbar und ökologisch. Aber in diesem Frühjahr beginnen die Diskussionen über die Vision einer renaturierten Flusslandschaft mitten in der Stadt. Wie lassen sich die strengen hygienischen und sicherheitstechnischen Standards eines öffentlichen Projekts mit der Rücksicht auf das architektonische Ensemble von Museumsinsel und Lustgarten vereinbaren? Wo, fragt ein Architekt, sollen die Umkleidekabinen hin, wo die Rampen für barrierefreien Zugang, wo die Duschen, was geschieht mit den Abfällen? Frei zugänglich ohne Eintritt soll das Flussbad sein, gut. Aber warum ein solches Großprojekt im Zentrum, während in den Bezirken Stadtbäder marode vor sich hin sparen? Es ist, wie es sein soll: Nach der Bewilligung eines Projekts beginnt seine Prüfung durch die Stadtgesellschaft.

© SZ vom 15.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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