Schauplatz Berlin:Das Kreuz mit der Wippe

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Im Krönungskutschensaal des Marstalls trafen sich die künftigen Betreiber des Humboldtforums zu einem Gespräch. Einer störte das Einverständnis.

Von Lothar Müller

Manchmal erklingen Geigentöne im Innenhof des Neuen Marstalls. Seit gut einem Jahrzehnt ist er einer der Standorte der Hochschule für Musik Hanns Eisler. Die Adresse ist Schlossplatz 7. Bauherr des neobarocken Gebäudes war um 1900 Kaiser Wilhelm II. Auf dem Bronzerelief an der Fassade, in der Nische des Eckrisalits zur Breiten Straße hin, ruft Karl Liebknecht am 9. November 1918 die sozialistische Republik aus. Da hat der Kaiser das Schloss schon verlassen.

Aus dem Krönungskutschensaal des Neuen Marstalls sind die historischen Kutschen längst ausgezogen. Aus den Fenstern fällt der Blick auf die noch gerüstverkleideten Fassaden des Humboldt-Forums. Die Kuppel trägt noch kein Kreuz. Nicht Trommeln und Blechbläser, sondern Marimbafone begleiten den Einzug der künftigen Schlossbewohner. Für die Gründungsintendanz des Humboldt-Forums ist Hermann Parzinger gekommen, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Seine Institution wird den Großteil der Etagen bespielen. Im ersten Stock wird die Stadt Berlin 4 000 Quadratmeter Ausstellungsfläche haben. Dafür ist Paul Spies zuständig, der aus Amsterdam gekommene neue Leiter der Stiftung Stadtmuseum. Die Berliner Landesregierung ist durch Klaus Lederer vertreten, den Kultursenator von der Linken.

So ist das in Berlin: Was man ad acta legen will, das begehrt auf

Und dann gibt es noch einen äußerst gut gelaunten, sehr jovialen Moderator, Klaus Wowereit. Er war mal Regierender Bürgermeister, jetzt sitzt er im Präsidium des "Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller", dem Hauptveranstalter des Abends. Bei der Eröffnung macht sich ein anderes Präsidiumsmitglied über die aktuellen Debatten lustig, die über die Einheitswippe und die über das Kreuz auf der Kuppel. Aber wie es so geht in Berlin, was man ad acta legen will, das begehrt auf. Angekündigt ist ein Gespräch über die "Wechselwirkungen zwischen einer nationalen Kulturinstitution und der Stadt". Aber interessant wird es immer dann, wenn es um die Einheitswippe und das Kreuz auf der Kuppel geht. Und das liegt an dem Zuwanderer auf dem Podium, dem Niederländer Paul Spies.

Der nimmt die universalistische Rhetorik des Humboldt-Forums und sein Konzept, im von ihm verantworteten Ausstellungsteil eine Brücke von Berlin in die "Weltbürgergesellschaft" zu schlagen, so ernst, dass er am liebsten auf beides verzichten würde, auf das Kreuz auf der Kuppel und auf die Einheitswaage, die alle Wippe nennen. Deren Metaphorik hält er für verunglückt: Warum soll in einer Demokratie die Mehrheit nach unten sinken und der Einzelne in den Himmel gehoben werden?

Und dann hat Paul Spies auch noch Schwierigkeiten mit der geplanten Inschrift "Wir sind das Volk. Wir sind ein Volk." Er ist 1960 geboren, Nachkriegskind, aber eben Niederländer, und in ihm blinken rote Warnlampen auf, wenn die Deutschen sich als Volk feiern, auch wenn das in Zitaten aus der Bürgerbewegung von 1989 geschieht. So ist das, wenn die Weltbürgergesellschaft nicht nur als Begriff in Berlin kursiert, sondern leibhaftig bei der Planung des Humboldt-Forums mitmischt.

© SZ vom 23.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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