Schauplatz Berlin:Dafür einfach mal danke!

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Soll man nun die Gay Night at the Zoo besuchen oder den Dyke March für lesbische Sichtbarkeit? Und soll man eigentlich Angst haben vor so viel lebensweltlichem Durcheinander? Auf gar keinen Fall.

Von Jens Bisky

Kölsch- und Bratwurststand fallen zunächst nicht auf. Hier ist immer was los, irgendwas tut sich ständig am Potsdamer Platz, Nummer 1, wo Berliner vorübereilen und Touristen das Metropolenfeeling suchen. Aber dann sieht man die Wimpel in Regenbogenfarben, eine Fahne und die Aufschrift "Berlin Queer Days". Eine Bühne für Karaoke, Musik, Show steht da. Besucher machen Selfies mit Drag-Queens. Es herrscht ausgelassene Selbstverständlichkeit. Das Queer-Days-Sommerfest findet in diesem Jahr zum ersten Mal statt. Es will eine "Regenbogenbrücke" schlagen vom Lesbisch-Schwulen Stadtfest, auf dem am vergangenen Wochenende auch die AfD-Frau Beatrix von Storch spazieren ging, zum CSD, dem Christopher Street Day, der großen Parade, die am Samstag vom Kurfürstendamm vorbei an Nollendorfplatz und Siegessäule zum Brandenburger Tor ziehen wird. "Danke für nix" heißt in diesem Jahr das Motto der Demonstration. Gefordert werden gleiche Rechte für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle, queere Menschen; gefeiert werden Akzeptanz, Teilhabe, Vielfalt. Deswegen wolle die Organisatoren NPD, Bergida und AfD nicht dabeihaben.

Die Queer Days am Potsdamer Platz stehen für einen Trend, der seit Jahren anhält: In den Tagen vor der großen Parade, dem Pflichttermin für Überzeugungsberliner, finden immer mehr Feste, Veranstaltungen, Partys statt. Leider kann man nicht alle besuchen, nicht einmal alle mit langer Tradition. Am Freitag etwa wäre zu pendeln zwischen der Open-Air-Swing-Party im Zoologischen Garten "Gay Night at the Zoo", dem Interreligiösen CSD-Gottesdienst in der Marienkirche am Alexanderplatz, dem Dyke March für lesbische Sichtbarkeit - und einigem mehr. Der Samstag beginnt mit einer Gedenkfeier für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen und endet auf großen oder kleinen Pride Partys.

Während autoritäre Regierungen ringsum Hass auf queere Menschen fördern, während auch in Deutschland die Angst vor rechtlicher Gleichheit und lebensweltlichem Durcheinander sich wieder sehr laut und vulgär äußert, werden die Berliner Szenen vielfältiger, reicher, professioneller. Und das wird so weitergehen. Die Initiative Queer Nations zum Beispiel treibt ihr Projekt für ein Elberskirchen-Hirschfeld-Haus voran, benannt nach der feministischen Schriftstellerin Johanna Elberskirchen und dem Sexualforscher Magnus Hirschfeld. Das Haus soll Museum und Archiv der Emanzipationsbewegungen sein und zugleich eine Denkfabrik. Dort könnte etwa diskutiert werden, was es mit dem Aufschwung der queeren Zivilgesellschaft in Berlin auf sich hat. Dass die nicht aufgibt, nicht stehen bleibt, sondern immer Neues entwickelt, dafür Danke! Guten, alten Diskursfallen scheint sie auszuweichen: Soll man die Außenseiter-Identität pflegen oder sich irgendeiner "Normalität" anbequemen? Soll man sich in der Gemeinschaft bestärken oder öffentlich sichtbar werden? Soll man schrill auftreten oder solide? Rings um den CSD scheint eine praktikable Stadtbürger-Antwort längst gefunden zu sein: das eine tun und das andere nicht lassen.

Die Luftmatratzen für die Gäste aus Posen, Granada und Luckenwalde sind aufgeblasen, und wieder hat man nichts anzuziehen und freut sich doch auf die Stillen und die Lauten. So ungekühlt trinkt man den Sekt nur einmal im Jahr, aber dieses eine Mal ist das sehr gut so.

© SZ vom 22.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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