Schauplatz Berlin:Auf ein Bier in die Kunsthalle

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Auf dem Kindl-Gelände in Neukölln kann man sehen, was passiert, wenn irgendwo in Berlin eine Brache frei wird: Eigentumswohnwürfel in der Farbe von Seniorinnenunterwäsche entstehen.

Von Peter Richter

Armes altes Westberlin: Irgendwann zogen sogar die beiden großen Brauerein für das Eckkneipen-Bier in den Osten. Berliner Kindl und Schultheiß kommen jetzt aus derselben Großbrauerei in Weißensee, die auch das Berliner Pilsner macht. Dem Westen blieben die Eckkneipen, um über einem dieser drei Ostbiere vor sich hin zu lamentieren. Immerhin aber auch die leeren Brauerei-Gelände.

Auf dem von Kindl in Neukölln kann man jetzt sehen, was passiert, wenn irgendwo noch eine Brache zu finden ist in den Zeiten der Mietpreisexplosion: beklemmende Eigentumswohnwürfel in der Farbe von Seniorinnenunterwäsche. Da muss man durch, wenn man wieder ins Weite und Offene will - und dann muss man rein in die Kesselhalle des Brauereigebäudes (eine wuchtige Gralsburg der deutschen Backsteinmoderne). Dort steht dann Andreas Fiedler und sagt "oder?" Es ist dieses sehr schweizerische question tag, das eigentlich das Gegenteil meint: "kein 'oder' möglich", pure Evidenz. Er sagt also: "Großartiger Raum, oder?" Und der Raum ist so großartig, dass erst der Künstler Roman Signer ein ganzes Flugzeug reinhängen konnte, mit dem Propeller nach unten, und jetzt Haegue Yang eine Art Tatlin-Turm aus Jalousien - 20 Meter hoch.

Fiedler hat den schönen Job, regelmäßig Kunst zu finden, die groß genug ist, um in dem gigantischen Raum nicht verloren zu gehen. Diesen Job wiederum hat dem Kurator aus Bern ein Paar aus Basel gegeben, eine Architektin und ein Bankier, die, warum auch immer, so freundlich waren, die wegen Denkmalschutz für Investoren lange uninteressante Fabrik zu kaufen und Berlin eine veritable Kunsthalle zu schenken, in der, Achtung!, nicht einmal die von ihnen selbst gesammelte Kunst zu sehen ist. Stattdessen zeigt Fiedler (bis zum Wochenende noch) im alten Maschinenraum Latex-Abdrücke, die Asta Gröting von Berliner Fassaden genommen hat, die noch Einschusslöcher aus dem Zweiten Weltkrieg zeigen. Diese Narben verschwinden ja jetzt alle, wie die Brachen, unter den Neuberliner Schlüpferfarben.

Das ganze Haus wirkt in diesem Umfeld wie ein Memento auf den typischen Berliner Weg von der Industrie- zur Nachnutzungskultur, kombiniert aber, was wirklich hübsch ist, beides: Unter dem Saal mit den alten Tanks, der wie eine Kulisse aus "Metropolis" aussieht und daher das bisher bombastischste Kunsthallen-Café der Welt beherbergt, arbeitet tatsächlich noch eine echte, kleine Craft-Beer-Brauerei. Das wirkt natürlich wie eine Großinstallation zum Thema Stadtentwicklung, Hegel, Dialektik und so weiter, war jedoch ausnahmsweise Zufall. Aber kurz anstoßen möchte man mit Kurator Fiedler schon darauf. Oder?

© SZ vom 01.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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