Schauplatz Berlin:Angekommen im Niemandsland

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Eine Fotoausstellung vor dem Haus der Festspiele zeigt Flüchtlingsbilder, ohne Journalismus spielen zu wollen.

Von Jens Bisky

Vor dem Haus der Berliner Festspiele, an einem der idyllischen Orte mitten im Großstadtgewusel, die für Berlin so typisch sind, stehen zehn große Plakatwände mit Schwarz-Weiß-Fotografien. Man sieht darauf Menschen in Räumen, die erkennbar nicht die ihren sind und in denen sie doch Platz finden zum Ausruhen, Schauen, Nachsinnen, zum Warten vor allem. Eine Frau mit Kinderwagen steht in einem herrschaftlichen Flur vor verschlossenen Türen, ein junger Mann sitzt auf einem Stuhl vor zwei leeren, getrennt voneinander aufgestellten Betten, ein anderer sitzt im Marmorbad zwischen WC und Doppelwaschbecken. Vereinzelt wirken sie, ihre Gesichter sieht man kaum; sie wenden dem Betrachter den Rücken zu oder haben die Köpfe gesenkt und meist sind sie verhüllt von Kopftuch oder Kapuze, geborgen in Stoff.

"Refugees In A State Apartment" heißt die Fotoserie von Jens Ullrich. Sie ist vor dem Haus der Festspiele in der Schaperstraße zu sehen oder in der Edition der Berliner Festspiele, Nummer 19, die an vielen Orten ausliegt, man kann sie sich auch von der Webseite herunterladen, ausdrucken - und hat dann eines der wenigen gelungenen Kunstwerke zur Berliner Gegenwart zwischen Hauptstadtroutine und Flüchtlingsalltag in der Hand. Hier wird nichts nachgespielt, hier wird nicht Journalismus imitiert - Ullrich hat sich ein Bild gemacht und bietet Bilder an zur Situation, Ankunftsbilder. Der Fotograf, Jahrgang 1968, lebt in der Nähe der Meldestelle in Moabit, wo die Flüchtlinge auf ihre Registrierung warten mussten: Stunden, Tage, Wochen. Er ist immer wieder dorthin gegangen, nach einiger Zeit auch mit seiner Kamera, um die Wartenden zu fotografieren. Einige von ihnen hat er in historische Bilder montiert, in Aufnahmen einer großzügigen Bremer Wollfabrikantenvilla. Diese Fotos stammen aus dem Jahr 1929, sie sind menschenleer, zeigen ein anspruchsvoll, aber nicht sehr geschmackssicher eingerichtetes Haus. Nachdem der Besitzer bankrottgegangen war, diente das Hundertzimmerhaus als Offizierskasino, Krankenhaus, Klinik für Drogenabhängige. Derzeit wird ein Käufer gesucht.

Er habe, sagt Jens Ullrich, eine "eher ruhige und sagen wir passive Stimmung" erzeugen wollen - und das, obwohl in seinen Ankunftsbildern Extreme aufeinander treffen: Bilder deutscher Wohnkultur, die so vertraut wie vergangen wirken, und Bilder ganz zeitgemäß, modisch, praktisch Gekleideter. Wäre der Titel der Serie nicht, würde nicht jedes zweite Gespräch in der Stadt rasch um das Thema Flüchtlinge kreisen, man wüsste nicht sofort zu sagen, wer die Menschen auf diesen Bildern sind. Probeweise scheinen sie Platz genommen zu haben, ungewiss scheint alles auf diesen Bildern - die Zukunft der verwunschenen Räume und der nächste Schritt der Geflüchteten. Es sind Bilder einer offenen Situation, sehr willkommen in einer Stadt der Besserwisser.

© SZ vom 13.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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