Schauplatz Berlin:"Am Spreebord"

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So heißt ein neues, 10000 Quadratmeter großes Skulpturenzentrum in Berlin. Zugleich ist die Werkstattgalerie der Bildgießerei Noack ein einzigartiges Geschichtszeugnis - und mit der Werkstattgalerie ein Labor der Kunst.

Von Jens Bisky

Auf dem alten Firmenschild gleich neben dem Eingang steht die Nummer 830133, und nur zu gern stellt man sich vor, wie Georg Kolbe dort angerufen hat, vielleicht Grüße seines Kollegen bestellte, des Tierbildhauers August Gaul, um sich dann zu erkundigen, wie denn nun seine "Tänzerin" gelungen sei, jene Skulptur, die seinen Ruhm begründete, aber für den Ofen zu groß war. Der Bronzegießer Hermann Noack fand einen Ausweg: Er glühte die Figur in einem Scheiterhaufen, den er, sobald die nötige Hitze erreicht war, höchstselbst auseinanderriß und das glühende Ding zur Abkühlung in ein Wasserbassin stürzte. Vielleicht war, als Kolbe anrief, auch Renée Sintenis bei den Noacks und übte das Patinieren.

So ein altes Firmenschild verleitet zu Geschichtsträumereien, aber die Werkstattgalerie der Bildgießerei Noack holt den Besucher sofort zurück in die Gegenwart der Kunst. Vor Kurzem erst wurde sie am neuen Firmensitz in Charlottenburg-Nord neu eröffnet. Das Skulpturenzentrum Am Spreebord ist weitgehend fertig, 10 000 Quadratmeter an jener Stelle, wo einst die Kohle für das benachbarte Kraftwerk lagerte. Skulpturen der Gegenwart sind nun in einem hohen Raum zu sehen, der an das Atelier eines Monumentalbildhauers erinnert. Hier finden die Krähen Arie van Selms, die Bronzen Heinz Macks oder Anna Boguchevskaias "Seifenblasenartisten" Platz zum Atmen. Daneben gibt es noch einen Raum mit Skulpturen des 20. Jahrhunderts, gefertigt in der Gießerei Noack. Deren Werke kennt jeder, selbst der größte Kunstmuffel.

In den Fünfzigern haben die Noacks Schadows Quadriga für das Brandenburger Tor neu geschaffen. Für jede Berlinale werden hier - nach einem Entwurf von Renée Sintenis - die Bären gegossen. Auch Henry Moores Werk "Large Two Forms" am Bonner Bundeskanzleramt kam aus der 1897 gegründeten Firma. Inzwischen leitet der vierte Hermann Noack, gemeinsam mit seinem 1931 geborenen Vater, das Unternehmen.

Vor sieben Jahren zog die Bildgießerei von Friedenau, wo der Platz nicht mehr reichte, nach Charlottenburg-Nord. Der Architekt Reiner Maria Löneke hat das Skulpturenzentrum entworfen: moderne Werkstätten mit Nordlicht und zur Spree hin ein Ensemble mit Ateliers und Ausstellungsräumen. Hermann Noack IV. verfolgt die Idee, "Kunst, Handwerk und Lifestyle miteinander zu verbinden". Aber das sei ja, sagte er einmal in schönem Berliner Traditionsbewusstsein, nicht neu. Schon der Urgroßvater habe Gießerei, Wohnhaus und Kneipe unter einem Dach gehabt.

In der Werkstattgalerie stehen die Kunstwerke im Zentrum, nicht die Firmengeschichte. Experimentierlust und enge Zusammenarbeit mit den Künstlern sicherten der Gießerei früh schon eine Ausnahmestellung. Renée Sintenis hat berichtet, wie sie vom alten Noack Ziselieren und Patinieren lernte. Legendär ist auch der erste Besuch Henry Moores: ein unpatinierter Probeguss war pünktlich fertig, gefielt aber dem dritten Hermann Noack nicht recht. Also erprobte er über Nacht verschiedene Farben, zeigte die Fülle der Möglichkeiten. Moore kam, war begeistert, Jahre gemeinsamer Werke folgten.

Die Stadt war in jüngster Zeit recht zurückhaltend mit der Beauftragung öffentlicher Skulpturen. Am Spreebord 9 kann man nun sehen, wie viel Schönheit möglich wäre, nähme man die stolze Berliner Tradition wieder auf.

© SZ vom 08.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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