Schauplatz Berlin:Als Nassrasierer in der Bartausstellung

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Eine überfällige Ausstellung im Neuen Museum klärt endlich über die jahrtausendealten Vorläufer des Berliner Hipsterbarts auf. Und sie stellt klar: Es gibt einen Dritten Weg "zwischen Natur und Rasur".

Von Lothar Müller

Seit Jahren ist das unrasierte Berlin auf dem Vormarsch. Mit nicht geringer Inbrunst pflegt und stutzt es seinen Bart, und was als Metamorphose des Hipstertums begann, sieht seit einiger Zeit aus wie ein Beitrag zur Willkommenskultur. Es ist, will man diesem Phänomen nicht hilflos gegenüberstehen, dringend ein Besuch im Neuen Museum anzuraten. Dort läuft derzeit unter regem Publikumszuspruch die Kabinettausstellung "Bart - zwischen Natur und Rasur". Zwei Geschosse unter Nofretete konfrontiert sie die unrasierten Berliner mit ihren Vorbildern aus Jahrtausenden. Auch eine eigene Abteilung für weibliche Bartträgerinnen seit der ägyptischen Königin Hatschepsut hat sie parat.

Das ist eine gute Gelegenheit, dem weitgehend ausgestorbenen Format "Der Feuilletonist am falschen Ort" unter dem Titel "Als Nassrasierer in der Bartausstellung" ein wenig nachzutrauern. Es ist dann aber gar nicht so schlimm. Den Türsteher der Ausstellung macht Karl Marx mit einem Vollbart ganz aus Federn, wie ihn der Künstler Gunter Rambow 1969 für eine Zeitschrift entworfen hat. Das ist schon mal, weil es erklärtermaßen der Würde, Schwere und Gelehrsamkeit die Anmutung der Leichtigkeit entgegensetzt, ein Kompromissangebot.

Die alte Weisheit: Alle Rasierten ähneln einander, jeder Unrasierte ist unrasiert auf seine Art

Und gleich dahinter verkörpert ein sehr gelassen wirkender sumerischer Würdenträger aus dem Jahr 2100 v. Chr. die Bartlosigkeit in zeitloser Eleganz. Er lädt nicht nur zu Betrachtungen darüber ein, warum im heutigen Berlin der kahle Kopf so häufig bärtig ist. Er bringt, von Bärtigen umringt, auch die alte Weisheit zur Anschauung: Alle Rasierten ähneln einander, jeder Unrasierte ist unrasiert auf seine Art.

Nicht ohne Rührung steht der Nassrasierer vor dem Porträtkopf des Philosophen Plato, nicht ohne Interesse liest er die Sottise des Lukian von Samostata, wenn die Weisheit im Bart sei, "dann könnte jeder Ziegenbock ein Plato sein". Das ist natürlich Polemik, die alte Leier vom ungepflegten Bart. Dass der bartlose sumerische Würdenträger die Eleganz nicht gepachtet hat, zeigt ein Blick auf das Urbild aller Berliner Hipster mit kurz geschnittenem, sehr gepflegten Vollbart: den marmornen Reliefkopf eine Römers vom Konstantinsbogen, der souverän die von Kaiser Hadrian vorgegebene Mode variiert.

Die bärtige Eleganz spätantiker Männer kann der Nassrasierer entspannt zugeben. Immerhin steht hier kein Geringerer als Alexander der Große, der junge bartlose Herrscher, für das Prinzip Rasur, das er - aus militärischen Gründen - auch seinen Soldaten verordnete. Und im Gilgamesch-Epos steht die Rasur des in der Steppe umherziehenden Enkidu für seinen Wandel zum zivilisierten Stadtmenschen. Das hat sich seitdem sehr geändert. Die Frage, warum er Bartträger sei, beantwortet ein Besucher im Ausstellungsbuch so: "Weil Gott es so wollte." Mit der gebotenen Demut verlässt der Nassrasierer das Museum und kehrt ins unrasierte Berlin zurück.

© SZ vom 22.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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