Schaubühne Berlin:Gefälliges Leiden

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Retro-Feminismus: Die britische Erfolgsregisseurin Katie Mitchell inszeniert Elfriede Jelinek. Dabei treibt sie ihr alle Widersprüche aus, und die Frauen quälen sich.

Von Mounia Meiborg

Was tut eine Frau nicht alles für einen Mann. Sie fährt zu ihm, wenn er sie braucht. Sie massiert sich kurz die schmerzenden Füße und zieht dann die High Heels wieder an. Und sie vögelt ihn im Backstagebereich - bis er wieder auf die Bühne muss, um sich von Teenagermädchen anschmachten zu lassen.

So sieht das jedenfalls aus, wenn die britische Erfolgsregisseurin Katie Mitchell an der Berliner Schaubühne ein Stück der Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek inszeniert. Auf der Bühne steht ein VW Käfer aus den Sechzigerjahren. Das passt. Denn auch die Konflikte und Rollenbilder, die hier zu sehen sind, sind ziemlich retro.

An Elfriede Jelinek liegt das nicht. Ihr Text "Schatten (Eurydike sagt)" ist eine gallige Abrechnung auf der Höhe der Zeit. Es geht um Orpheus-Männer, die sich in großen romantischen Gesten gefallen, um Eurydike-Frauen, die sich besingen und in den Schatten stellen lassen. Eine Schriftstellerin, die mit einem Popsänger liiert ist, will sich nicht mehr retten lassen. Trotzdem wird sie heimgesucht von Selbsthass und Entfremdung, Optimierungszwang und Angst vorm Älterwerden - was bei Jelinek natürlich Futter für Kalauer bietet.

Auf der Bühne klingt das Ganze mehr nach Anna Gavalda oder Susanna Tamaro. Jelineks gedankliche Abzweigungen werden begradigt, jetzt geht es in kurzen Hauptsätzen stramm geradeaus. "Ich bin allein", heißt es da. Oder: "Ich will meine Ruhe haben." Die mythologische Story wird der Reihe nach erzählt, inklusive Schlangenbiss. Das führt zu unfreiwillig komischen Momenten. Und manchmal klingt es auch verdächtig nach Fernsehserie: "Mann, wenn ich dich anschaue, verschwindest du!" Alles Sperrige und Unappetitliche ist eliminiert. Aus der Dauerschleife wird ein ästhetisiertes Drama um die leidende Frau.

Wie immer lässt Katie Mitchell die Schauspieler, Kameraleute und Techniker auf der Bühne einen Film herstellen. Auf zwei großen Leinwänden sind Bilder wie aus einem skandinavischen Arthouse-Film zu sehen: Renato Schuch irrt als Sänger durch eine Unterwelt aus Betonfluren und Aufzügen. Und die Augenringe von Jule Böwe, die die namenlose Frau spielt, sind in Nahaufnahme zu sehen. Sie bleibt fast stumm. Der Text kommt von Stephanie Eidt, die im Vordergrund der Bühne in einer Sprecherkabine sitzt. Sie spricht so sinnlich und säuselnd, wie man es aus der Sektwerbung kennt.

In anderen Inszenierungen hat Mitchells Konzept, das Gemachte auszustellen, einen eigenen Sog entwickelt. Hier aber sind Umbauten nur Pausen zwischen zwei Bildern. Die Kamera weidet sich an Jule Böwe, die im schwarzen Negligé am Boden liegt und in die Ferne starrt. Die Aufführung gefällt sich in all dem Schmerz ziemlich gut. Und Katie Mitchell, die sich als Feministin versteht, bestätigt ein altes patriarchales Gesetz: Die leidende Frau ist immer noch die beste.

© SZ vom 30.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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