Salzburger Osterfestspiele:Der Kuss des Todesengels

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In Salzburg ist von Anfang an klar, dass Giuseppe Verdis "Otello" böse ausgeht, tanzt doch immer wieder Sofia Pintzous Totenengel durch die Szene. (Foto: Forster)

Christian Thielemann dirigiert in Salzburg den "Otello" von Giuseppe Verdi. Der Dirigent sieht von Anfang an schwarz, denn für ihn ist der finale Doppelmord einfach unvermeidlich.

Von Reinhard J. Brembeck

Auf diese Dunkelheiten und Abgründe hat Christian Thielemann den ganzen Abend lang hingearbeitet. Schon die Tanzrhythmen des Trinklieds, die Schwerelosigkeit des Kinderchorständchens und die nächtliche Hymne des Liebespaares waren damit imprägniert. Ganz zu schweigen vom Chorgetöse während des Seesturms, dem dunklen Nihilismus in Jagos Credo und dem sich immer tiefer in seine Verzweiflung bohrenden Otello, diesem Militärmuskelprotz und emotionalen Trottel, der zuletzt wegen eines Nichts seine Frau und sich selbst mordet.

Jetzt ist Thielemann in Salzburgs Großem Festspielhaus im Finalakt von Giuseppe Verdis "Otello" angekommen. Er zelebriert Toderwartung und einen grandiosen Kult ums Letale. Die Staatskapelle Dresden gibt den Styx, sie atmet Verhängnis und Zerstörung. Waren die Klangfarben zuvor mit Grau und Schwarz eingefärbt, so sind sie jetzt noch dunkler. Das Englischhorn, das den Akt einleitet, verkündet nur einen Trost, den letzten: Sterben. Dass dieses Sterben süß ist, das wissen die sie bald begleitenden Holzbläser, die schwerelos zu schweben scheinen und ein verlockendes Geheimnis zaubern.

Das ist ein beeindruckend modernes Klangbild, das Thielemann da bei Verdi entdeckt

Dass in dieser "Otello"-Welt kein Heil zu finden und dass Sterben deshalb der einzig mögliche Trost ist, das hat Thielemann schon zuvor in jedem Takt vorgeführt. Stets betont der Dirigent die auseinanderdriftenden Elemente der Partitur, die Unvereinbarkeit der hier vertretenen Lebenskonzepte, die Fragwürdigkeit des (schönen) Scheins und des Gefühls. Jeder Moment für sich genommen beglückt. Aber er wird immer sofort negiert, als Illusion entlarvt. Dieser "Otello" ist faszinierend zerbröckelt, bietet keinerlei Halt. Das ist ein beeindruckend modernes Klangbild, das Thielemann da bei Verdi entdeckt.

Jetzt also die Talsohle der Verzweiflung. Dorothea Röschmann als Otellos Frau nimmt Thielemanns Düsternis rückhaltlos an. Diese Desdemona weiß, dass sie ermordet wird, fast sehnt sie sich danach, alles andere wäre ein Unglück. Zärtlich geht Röschmann das Ave Maria und vor allem das Lied von der Weide an, das ihren Schmerz sublimiert. Ihre hohen Töne fluten wie ein Schatten aus dem Jenseits: der sängerische Höhepunkt des Abends.

Sonst erhält Thielemann von der Bühne her wenig Unterstützung für seine Deutung. Er wirkt da so einsam wie einst Angela Merkel in der Flüchtlingsfrage. Das liegt vor allem an Regisseur Vincent Boussard. Der begegnet Shakespeares brodelndem Schauspiel, das Librettist Arrigo Boito grandios für die Musik verknappt hat, mit äußerster Distanz. Nur Andeutungen, nur episches Theater, nur emotionale Sparflamme, das ist Boussards Devise.

Der Kontrast zwischen musikalischer Leidenschaft und szenischer Distanz kann gut funktionieren, Regisseure wie Peter Sellars und Bob Wilson beweisen das immer wieder. Allerdings ist bei diesen Meistern die Szene minutiös durchgearbeitet. Boussard ist in diesem Punkt ein bisschen nachlässig. Er hat seinen Sängern keine zwingenden Rollenkonzepte zu bieten, zumindest ist nichts davon zu sehen. Zwischen flatternden Tüchern und einem häufig hereingefahrenen megalangen Tisch tanzt-turnt allein Sofia Pintzou völlig beherrscht als schwarzer Todesengel herum. Auch der Jago von Carlos Álvarez lässt sich recht konsequent und elegant auf Boussards Spiel der Stilisierung ein. Allerdings ist seine Stimme immer nur schwarz und dunkel, doch nie bedrohlich oder vernichtend. Das ist auf keinen Fall der Schuft, der stets das Böse will und immer das Schlimmste schafft. Das erahnt man nur aus Thielemanns Orchesterbeigaben.

José Cura als Otello nimmt das Regiekonzept als Freibrief für szenisches Laissez-faire. Er gibt eher den eleganten Liedsänger als den in den erotischen Eifersuchtswahnsinn getriebenen Macho. Ist er an diesem Abend indisponiert? Von dem einstigen Kraft- und Expressiv-Sänger Cura ist nichts zu merken. Am schönsten gelingen ihm die lyrisch innigen Passagen. Aber selbst da schwingt die Stimme nicht frei, vermag das Timbre nicht zu betören.

So beeindruckend sich Dorothea Röschmann als seine Desdemona in den Tod sehnt, so wenig weiß sie davor das amour-fou-mäßig liebende Upper-Class-Girlie zu beglaubigen, das in der ruppigen Naturgewalt ihres Liebhabergatten die Antiwelt zur bürgerlichen Anständigkeitspassage ihres Vaters er- und durchlebt. In Salzburg knistert es nie zwischen den beiden, sie sind kein Liebes-, sondern ein auseinandergelebtes Altpaar.

Da sind der triumphierend singende Benjamin Bernheim als der naive Durchstarter Cassio und der abgrundtief verzweifelte Bror Magnus Tødenes als Rodrigo sehr viel näher an einem nachvollziehbar partiturgerechten Rollenporträt. Großer Beifall für Thielemann und seine Staatskapelle, Buhs für Cura und die Regie.

© SZ vom 21.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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