Salzburger Festspiele:A aus Syrakus trifft A aus Ephesus

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Großer Theaterzauber: Henry Mason inszeniert Shakespeares "Komödie der Irrungen" in einem Zirkusrund, umgeben von Wasser - das birgt ungemein viel Komik.

Von Egbert Tholl

Man betritt den Zuschauerraum auf der Perner-Insel in Hallein, und schon umfängt einen ein Zauber. Links hinten spielt eine Drei-Mann-Combo unter der Leitung von Patrick Lammer Jazz, Swing. Eine Dame im Glitzerkleid singt zu Bass, Klavier und Schlagzeug, singt "What a difference a day makes" und "Stormy weather". Was sehr gut passt, denn das Stück, das man hier sehen wird, spielt im Verlauf eines Tages, und der Ursprung der Verwicklungen, die an eben diesem einen Tag erst einmal stattfinden und dann sorgsam aufgedröselt werden, liegt in einem Sturm auf hoher See. Rechts hinten ist eine ein paar Meter hohe, waghalsig aufgetürmte Installation aus sehr vielen Stühlen, die von innen geheimnisvoll beleuchtet wird. Die eigentliche Bühne ist ein Zirkusrund, umgeben von Wasser; zwei Stangen ragen in die Luft, sie trügen ein Zirkuszelt, befände man sich nicht in einer ehemaligen Industriehalle, Girlanden von Lämpchen und Wimpeln hängen in der Luft - es fühlt sich an wie sommerliches Freilichttheater, nur halt nicht unter freiem Himmel.

Bringen die Salzburger Festspiele eine Produktion in Hallein heraus, dann giert man nach dem Besonderen. Dieses erfüllt sich in diesem Jahr darin, dass Henry Mason ein frühes Stück von Shakespeare inszeniert, das kaum einer kennt, mit einer lustig zusammengewürfelten Schauspielerschar aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Sie spielen "Die Komödie der Irrungen", unter ihnen ist kein nomineller Superstar, aber sie können alle singen, tanzen und akrobatische Kunststücke. Es ist wirklich schönstes Sommertheater, was hier stattfindet, und eigentlich will man niemanden die gute Laune verderben. Doch ein bisschen muss es sein.

Schnell breitet hier Shakespeare den Urgrund der Geschichte aus. Egeon, ein Kaufmann aus Syrakus, wird vom Herzog von Ephesus in dessen Stadt festgesetzt. Syrakus und Ephesus liegen im Clinch miteinander, wer in der jeweils anderen Stadt aufgegriffen wird und sich nicht freikaufen kann, verliert sein Leben. Also erklärt Egeon seine Anwesenheit: Er sucht seine Söhne, Zwillinge, beide tragen den Namen Antipholus. Als diese sehr klein waren, geriet die Familie zusammen mit einem weiteren, als zukünftige Diener dazugekauften Zwillingspaar - beide mit Namen Dromio - auf dem Meer in einen Sturm und wurde paritätisch getrennt, Mama, Antipholus und Dromio auf der einen, Papa, Antipholus und Dromio auf der anderen Seite. Vor sieben Jahren machte sich das bei Egeon verbliebene Paar A & D auf die Suche nach dem anderen und verscholl wiederum. Da machte sich Egeon selbst auf die Suche, und nun treffen in Ephesus beide Paare A & D aufeinander, treffen den Vater und schließlich auch die Mutter, die inzwischen Äbtistin des Klosters ist.

Das birgt ungemein viel Komik, weil in den Straßen von Ephesus immer ein A auf einen D und umgekehrt trifft und jeweils der eine Herr den falschen für seinen Diener hält, oder umgekehrt oder noch einmal durcheinander. Dazu kommt, dass der in Ephesus ansässige A seine Frau Adriana (Meike Droste) munter betrügt, den Zorn seiner ebenfalls erbosten Kurtisane mit einer Kette befrieden will, die nie dorthin gelangt, wo sie hin soll, während sich A aus Syrakus inzwischen in Luciana (Elisa Plüss), die Schwester der Gattin von A aus Ephesus verguckt, was diese in große Verwirrung stürzt, hält sie doch A aus Syrakus für A aus Ephesus. Alles klar?

Am Ende jedenfalls stehen sich die Antipholusse gegenüber und haben sich nicht viel zu sagen, während die Dromios viel Gefallen am jeweiligen Spiegelbild finden. Bei Mason ist es ein bisschen anders, weil Thomas Wodianka beide As, Florian Teichtmeister beide Ds spielt. Das führt eine lange Zeit zu unglaublich virtuosem Slapstick, vor allem dann, wenn beide Herr-Diener-Paare an ein und derselben Tür stehen, die einen drinnen, die anderen draußen, und mit viel Wirbel entweder die Tür wandert oder die Darsteller drumherum hüpfen müssen. Die Rollenidentität markiert dabei jeweils ein Requisit, bei Dromio eine Mütze, bei Antipholus eine Brille.

In diesen Momenten ist Mason ein Zauberer des Augenblicks. Auch hat er durchaus ein Gespür für die Stellen im Text, die auf Tieferes verweisen. Auf Fragen der Identität, des eigenen Ichs, etwa wenn der Antipholus aus Syrakus meint, er suche als Tropfen im Ozean einen weiteren Tropfen, seinen Bruder. Und wenn Shakespeare aus dem Brief des Apostels Paulus an die Epheser zitiert, weil wir ja in Ephesus sind, ist das eine herrlich kalauernde Pointe.

Es gibt virtuosen Slapstick, aber auch irrlaufende Nebenfiguren

Das spürt Mason auf, das ist alles drin. Erfüllte er die von ihm selbst geschaffene Grundkonstellation konsequent, der Abend wäre zwar immer noch nicht von intellektuellen Zweifeln angefressen, aber eine wunderbare Umsetzung dieses frühen, in Hinsicht auf Wirkmechanismen sehr klugen Shakespeare-Textes.

Aber so perfekt ist es dann doch nicht. Erstens schafft Mason eine in alberne Reime verliebte eigene Textfassung, die jeden Ernst von vornherein eliminiert; für Poesie muss allein die - sehr schöne - Auswahl live gesungener Songs, Swing-, Jazz- und Soulstandards sorgen. Zweitens garniert er sein in den ganz frühen Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts beheimatetes Setting - gemeint ist wohl eine Gesellschaft, in der langsam etwas im Untergrund zu brodeln beginnt - mit größtenteils irrlaufenden, karnevalesken Nebenfiguren, die ungefähr ab der Hälfte des gut zweistündigen Abends den Rhythmus gehörig ins Schleudern bringen. Was davor präzise gebaut war, tritt nun auf der Stelle, auch weil Mason keine interpretierenden, zuspitzenden Eingriffe in den Text vornimmt. Er erzählt das Stück, in sich gekürzt, lässt es geschehen. Mit viel, sehr viel Theaterzauber zwar. Aber dass diesem ein wenig Fundament gut täte, ist ihm egal.

© SZ vom 04.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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