Sängerin Gabriella Cilmi:Noch einmal, bitte

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Die Haare trägt sie jetzt kurz, anders als im Video "Sweet About Me": Gabriella Cilmi, 2014. (Foto: Nuria Rius/Ferryhouse)

Mit 17 hatte Gabriella Cilmi mit "Sweet About Me" einen Hit. Dabei blieb es. Für eine zweite Chance geht sie mit dem Album "The Sting" nun auf volles Risiko. Eine Begegnung in London.

Von Christian Mayer

Die Frau hält was aus, die kriegt man nicht so schnell klein, wenn es sein muss, springt sie mit heftigen Zahnschmerzen auf die Bühne. In Köln, zum Beispiel, beim Auftakt ihrer Deutschlandtournee im November 2008, da war Gabriella Cilmi gerade 17. Und dann stand sie da in der Kulturkirche, mit eingefrorenen Gesichtszügen, weil ihr der Zahnarzt gerade eine Spritze verpasst hatte: "Das war der Wurzelkanal. Ich habe zwar nichts mehr gespürt, aber ich konnte das Publikum deshalb nicht hängen lassen. Was auch immer passiert, ich gehe raus und spiele."

Sie muss laut lachen, wenn sie an das Konzert mit der Spritze zurückdenkt, und irgendwie ist es seltsam: Gerade jetzt, wo sie wieder nach Köln reist, um dort ihre Europatour zu starten, meldet sich der Wurzelkanal zurück, sie spürt da ein leichtes Ziehen, "kein schlechtes Zeichen", sagt sie.

Gabriella Cilmi kommt eine halbe Stunde zu früh zum Interview im Soho Hotel in London, und dann bestellt sie einen Wildbeeren-Cocktail. Sie ist auffallend hübsch mit ihren großen dunklen Augen, würde aber in ihrem schwarzen Blazer auch als distanzierte Jurastudentin vom King's College durchgehen. Das Gespräch mit ihr könnte kaum angenehmer sein, weil Cilmi mit größter Unangestrengtheit von einem Thema zum anderen springt, von ihren sizilianischen Vorfahren bis zu den japanischen Manga-Comics, die sie so liebt.

"Ein Typ von einer Plattenfirma fand es ganz gut"

Mit 22 Jahren hat sie mehr erlebt als viele Enddreißiger in der Popbranche. Schon als Kind im australischen Melbourne sang sie Rocksongs von Suzi Quatro und trug die Lederklamotten ihrer Mutter, sie hörte die alten Platten ihres Onkels, Led Zeppelin und solche Sachen. Mit 13 wagte sich die Tochter aus einer süditalienischen Einwandererfamilie bei der "Fiesta della Madonna" auf die Bühne. Sie sang "Jumpin' Jack Flash" von den Stones. "Das mochten die Leute nicht wirklich, aber ein Typ von einer Plattenfirma fand es ganz gut", erzählt sie.

Diese Stimme, die reifer und voller klang, viel lebenserfahrener, als ein Mädchen in diesem Alter sein kann, machte Eindruck, wahrscheinlich war beim Label auch Berechnung im Spiel. Gabriella sah einfach zu gut aus. Also bekam sie die große Chance: Umzug mit der Familie nach London, Plattenvertrag bei Island Records, das erste Album und die Single "Sweet About Me". Eine hübsche Illusion, dieses so süße Liedchen, in dem es um handwerkliche Verführungskunst und ein paar böse Lügen geht. Zum Deal gehörte, dass die Lizenz von "Sweet About Me" an einen Konzern verkauft wurde, um den Absatz eines Deodorants zu fördern. Bald lief der Deo-Song im Radio rauf und runter, ein Frischeversprechen auf Knopfdruck.

"Es kam alles über Nacht", erzählt die Sängerin. "Mein Vater hatte mich schon getröstet: ,Nur weil die Leute die Single nicht kaufen, heißt das nicht, dass du nicht singen kannst', sagte er. Und dann ging es auf einmal ab." Gabriella Cilmi, die manche Kritiker gar an Amy Winehouse erinnerte, galt jetzt als formbares Supertalent. Auf ihrem zweiten Album "Ten" lieferte sie hastig hergestellten Electro-Pop ab. Dancefloor-Sound, nicht peinlich, aber auch nicht prickelnd. War es das also schon wieder? Sollte die Blitzkarriere ganz undramatisch, fast unbemerkt zu Ende gehen? Sollte Cilmi als typisches One-Hit-Wonder enden, das nach ein, zwei Flops von der Musikindustrie rasch wieder fallengelassen wird?

Damals war Gabriella Cilmi so unglücklich, dass sie nur mit größter Selbstdisziplin auftreten konnte. Sie sagt, sie sei immer in sich gekehrter, abweisender geworden. "Es hat eine Weile gedauert, bis ich den Mut hatte zu rebellieren. Ich nehme vieles so hin, das liegt an meiner Persönlichkeit, aber dann kommt die Wut geballt hoch." "The Sting" heißt ihr neues Album. Drei Jahre hat sie daran gearbeitet, nachdem sie sich von allen getrennt hatte: von ihrem Freund, der Plattenfirma, dem Manager. Sie hat sich, auch unter Schmerzen, herausgelöst aus dem System, das ihr ein paar Jahre finanzielle Sicherheit geboten hatte.

Meist rebellieren junge Sängerinnen auf systemkonforme Weise, etwa durch drastische Posen oder extreme Outfits, wie Miley Cyrus oder Lady Gaga das auf der Bühne vorleben. Gabriella Cilmi hingegen hat ihren radikalen Schnitt, ihre Emanzipation backstage vorangetrieben. Sie lebt nun von der Substanz, von der Hoffnung, dass es auch ohne Apparat weitergehen kann. Manchmal ist es der Wahnsinn, etwa all die Termine zu koordinieren, eine Tournee zu starten, PR zu machen: "Mein Vater hat die Buchhaltung übernommen, aber ich brauche dringend einen neuen Manager", sagt sie.

Für Gabriella Cilmi ist die Platte eine "Befreiung". "The Sting", das ist für Cilmi auch der Stich, "den mir die Musikindustrie verpasst hat". Ist es nicht fahrlässig, nun auf alles zu verzichten, was einen groß gemacht hat? "Nein", sagt die Australierin, die ihre Musik jetzt in einem kleinen Studio in Muswell Hill aufnimmt, in ihrem Haus in Nordlondon. "Die Musikindustrie tut ja auch immer nur so, als würde sie zu dir stehen. In Wahrheit wollen sie nur das Beste für ihr Produkt, sie denken nur an den Umsatz. Das ist okay, aber nicht mein Ding." Sie trägt die Haare jetzt kurz, ihr Vater hat sie abgeschnitten, er ist Friseur. In ihren neuen Liedern wirkt sie nachdenklich, witzig, melancholisch, auch was Männer angeht: "If the devil were a woman, I wouldn't have to run away." Wenn der Teufel eine Frau wäre, müsste ich nicht davonlaufen.

Beim Gespräch ist Cilmi die Liebenswürdigkeit in Person, sie hat noch dieses Mädchenhafte. Kürzlich sei sie eingeladen worden zu einem dieser Gigs, mit denen man Geld verdienen könne, erzählt sie. Ein reicher Israeli ließ sie einfliegen für ein 45-Minuten-Konzert in seinem Haus in Tel Aviv. 30 Partygäste, mäßiges Interesse an der Musik, der Typ hieß Valerie. "Ich dachte, das ist eine Frau, deshalb habe ich auf der Bühne nach dem Birthday Girl gefragt. Komisch, nicht?", sagt sie lachend.

Sie kann hemmungslos schwärmen

Gabriella Cilmi plaudert nicht nur gerne, sie ist auch raffiniert. Ein Profi, der zwar nicht die Schule abgeschlossen hat, weil die Karriere vordringlich war, aber wichtige Lektionen fürs Leben gelernt hat. Sie will wissen, was der andere denkt, nicht nur von ihr. Sie kann das, was viele Selbstvermarkter im Showgeschäft nicht mehr schaffen: ein Gespräch ohne divenhaftes Getue oder gelangweiltes Genöle führen. Sie kann hemmungslos schwärmen von ihren persönlichen Vorbildern, von Robert Plant, Janis Joplin, Tina Turner. Sie kann leidenschaftlich schimpfen, etwa über ihren ersten Klavierlehrer in Melbourne, der ihr aufs Auge drücken musste, sie sei komplett unmusikalisch.

"Ich habe jetzt wieder genügend Selbstvertrauen", sagt sie. In Deutschland gibt sie drei Konzerte, dann geht es nach Italien, in das Land ihrer Vorfahren, das sie schon immer fasziniert hat. In Cassino und in Valvori in den Bergen von Lazio hat sie das Video zu ihrem Song "Sweeter in History" gedreht, im harten Schwarz-Weiß-Stil der Fünfzigerjahre. "Ich liebe den Neorealismus", sagt die Sängerin. Das Züchtig-Verspielte, das Schwermütig-Sanfte steht ihr eindeutig besser als der Luder-Look des letzten Albums.

Das Berghain in Berlin oder die Home Rock Bar in Treviso sind ganz gut, um sich auszuprobieren, um sich warmzumachen, bevor sie dann in ihrer Wahlheimat auftritt. In London, wo jeden Abend die Weltstars konkurrieren. Gabriella Cilmi glaubt, ihr Publikum zu kennen: "Die flippen nicht aus vor Begeisterung, aber sie haben Respekt, wenn man gut ist. Die Londoner haben dieses Pokerface."

Das Pokerface beherrscht sie selbst auch ganz gut. Sie spielt jetzt volles Risiko, sie kann dabei auch verlieren. Aber das Tolle daran ist: Es ist alles ihre ganz eigene Entscheidung.

© SZ vom 22.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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