Sachbuch:Und beim Lächeln zeigt man Zähne

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Sind so weiße Zähne: Stiche nach Jean-Baptiste Greuzes Gemälde "Épiphanie" konnten in zahnärztlichen Vorzimmern die Kunden ermutigen. (Foto: mauritius images/Alamy)

Lächeln ist angeboren, Zähne zeigen nicht. Der britische Historiker Colin Jones erzählt, wie Dentisten und Künstler dem "weißen Lächeln" im Paris des 18. Jahrhunderts zum Triumph verhalfen.

Von Steffen Martus

Noch bevor der Mensch ein einziges Wort artikuliert, kommuniziert er in der ansteckenden Sprache des Lächelns. Die Muskulatur für diesen Gesichtsausdruck bildet sich bereits im Mutterleib heraus und ist von Geburt an funktionsfähig, Kinder sind auf Kooperation angewiesen. Im Verlauf des Lebens werden Syntax und Vokabular des Lächelns dann immer reichhaltiger. Dass wir biologisch über das Vermögen verfügen, ist daher nur die eine Seite, die andere, wie es in einer Kultur der feinen Unterschiede eingesetzt wird: Ob wir herablassend oder schüchtern lächeln, wohlwollend oder heimtückisch, ob die Lippen dabei geschlossen bleiben oder die Zähne aufblitzen. Von dieser besonderen Form des "weißen Lächelns" erzählt der englische Historiker Colin Jones mit großer Eleganz und deutet es als Zeichen der Aufklärung im Paris des 18. Jahrhunderts.

Der Ansatzpunkt ist denkbar einfach: Wer ein weißes Lächeln zeigen möchte, muss überhaupt noch Zähne haben. "In Europas traditioneller Zahnkultur war Zahnlosigkeit im Erwachsenenleben" jedoch "ein Faktum, das galt für die mächtigsten Könige ebenso wie für die geringsten ihrer Untertanen". Ein weißes Lächeln lässt daher auf einen gewissen Lebenswandel schließen, auf Sorgfalt für den eigenen Körper und die Pflege seiner Bestandteile, auf Trink- und Essgewohnheiten, und nicht zuletzt auf die Vermögensverhältnisse, denn gute Zahnmedizin kostet Geld. Zudem war das Lächeln in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts sozial noch fest in ein zeremonielles Verhältnis zur Gesellschaft eingepasst; die gravitätischen Mienen bei Hof gaben den guten Ton an. Im Verlauf der Aufklärung verwandelte sich dann aber das Lächeln - vermittelt über die Empfindsamkeit - zu einem Ausdruck authentischer, unverstellter Individualität sowie natürlicher Sozialneigung. Eine Pointe der großen Erzählung von Jones liegt darin, dass die Etablierung des weißen Lächelns für einen kurzen historischen Moment mit der französischen Revolution koinzidierte, bevor ernsthafte Sittenwächter diese "neue Technologie des Gesichts" sehr schnell wieder geächtet haben und zum "Gesichtskodex" des Hofs zurückgekehrt sind. Dennoch: Muss es gleich eine "Revolution des Lächelns" sein, wie der Titel der Studie verkündet?

Der Scharlatan brauchte körperliche Kraft, der Zahntechniker vor allem Geschick

Jones fasst literarische Texte oder Verhaltensvorschriften oft als direkte Hinweise auf Verhaltenspraktiken auf und rechnet einzelne Quellen zu allgemeinen Diagnosen hoch. Er folgt dabei einer eher konventionellen Epochendramaturgie: Die Aufklärung kulminiert in Frankreich gewohnheitsmäßig in der Revolution des Jahres 1789. Und so muss auch das Lächeln einen Aufstand gegen das Ancien Régime, die verknöcherten Sitten des Hoflebens in Versailles und der Kirche, bedeuten. Der zeremonielle Ernst beider Institutionen sei durch das Lächeln im Kern bedroht worden. Am Ende des Jahrhunderts habe sich das urbane Leben in Paris dann von diesen Bevormundungen emanzipiert. Die bürgerliche säkulare Kultur demonstrierte so lächelnd ihren Eigensinn. Jones' differenzierte Darstellung der Quellen lässt jedoch eher auf Konstellationen schließen, in denen das Lächeln stets eine Option war. Die Materialien fügen sich nicht glatt in die lineare Erzählung vom anfangs verpönten und allmählich rehabilitierten Lächeln, das auf dem Höhepunkt der Geschichte Zähne zeigte.

Zum einen beschreibt Jones einen internationalen Trend. Vergnügen, Glückseligkeit oder Freude sind Leitparolen der europäischen Aufklärung. Das Spannungsfeld von Versailles und Paris verweist mithin auf allgemeinere Veränderungen der Sozialstruktur und taugt nur bedingt zur Erklärung der historischen Entwicklungslogik. Zum anderen sind die Belege für das "weiße Lächeln" relativ spärlich und zum Teil uneindeutig. Zeigt die Mutter auf Jean-Baptiste Greuzes berühmter Darstellung einer Geburtsszene ein Lächeln oder nicht doch eher Zeichen erschöpfter Entspannung? Élisabeth-Louise Vigée Le Brun, die Lieblingsmalerin von Marie Antoinette, machte das weiße Lächeln kurz vor der französischen Revolution tatsächlich zu einem provokativen Markenzeichen. Warum aber zauberte dann Jacques-Louis David 1795 ein weißes Lächeln auf das Antlitz der von ihm porträtierten Madame de Sériziat? Zu einem Zeitpunkt, als der Revolutionsterror diesen Gesichtsausdruck wieder verdächtig gemacht und gerade David, der Lieblingsmaler Robespierres, den "würdevollen Gesten" zu neuem Ansehen verholfen haben soll.

Selbst wenn die große Erzählung nicht so ganz funktioniert, rekonstruiert Jones ein überaus erhellendes Kapitel der Kulturgeschichte. Er verzahnt im wahrsten Sinn des Wortes diverse Entwicklungen, die in ihrer Wechselwirkung auf einen tief greifenden Wandel verweisen. Das "weiße Lächeln" war eine "Gemeinschaftsproduktion", in der die enthusiastische Kultur der Empfindsamkeit sich mit der nüchternen Zahnmedizin verbündete. Lange Zeit über war die Behandlung von Zahnschmerzen eine Domäne von Scharlatanen oder Marktschreiern gewesen, die ihr Geschäft mit schauspielerischem Talent inszenierten. Das privilegierte Mittel war nicht der Zahnerhalt, sondern die Extraktion auf offener Straße mit reger Anteilnahme des Publikums. Der neue Zahntechniker zeichnete sich hingegen nicht durch körperliche Kraft, sondern durch technisches Geschick aus, das er in einem Behandlungsraum hinter geschlossenen Türen zur Geltung brachte.

Der "Dentist" arbeitete effizient und legte Wert auf seine wissenschaftliche Qualifikation, die er auch in Publikationen unter Beweis stellte. Er baute den Markt für Prophylaxe und Zahnpflege auf und verbesserte die operativen Techniken, vom Ersatz einzelner Zähne bis hin zur Verfertigung kompletter Prothesen, für die seit 1788 das von Dubois de Chémant entwickelte Porzellangebiss zu Verfügung stand. Dieses Ensemble von institutionellen, habituellen und technologischen Innovationen verhinderte künftig ein Schicksal wie das Ludwigs XIV., dem aus Versehen bei der Extraktion schmerzender Zähne zugleich ein großer Teil des Kiefers entfernt wurde - dem König sprudelte nach diesem Eingriff beim Trinken die Flüssigkeit "wie eine Fontäne aus seiner Nase hervor".

Auch der neue Typus des Zahntechnikers kann jedoch nichts daran ändern, dass die französische Aufklärung das Lächeln nur für kurze Zeit zum Ausweis sensibler Menschlichkeit machte. Am Schluss berichtet Jones vom Niedergang der Kultur des Lächelns im Zuge der französischen Revolution, der neuen Ernsthaftigkeit des 19. Jahrhunderts und vom Comeback des weißen Lächelns im 20. Jahrhundert. Hier aber stand es nicht mehr im Zeichen der Aufklärung, sondern des Konsums, der Massenmedien und eines Starkults, der seinen Glanz nicht zuletzt der amerikanischen Zahnindustrie verdankt.

Colin Jones : Die Revolution des Lächelns. Ein Lebensgefühl im 18. Jahrhundert. Übersetzt von Ursula Blank-Sangmeister und Anna Raupach. Reclam Verlag, Stuttgart 2017. 325 Seiten, 34 Euro.

© SZ vom 08.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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