Russland:Kulinarische Patrioten

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Zwei Brüder, beide Regisseure, der eine Putin-Fan, der andere Putin-Gegner, wollen eine Fast-Food-Kette gründen.

Von Tim Neshitov

Es kann verstörend sein, in einer Wagner-Oper oder einem Schostakowitsch-Konzert Gedanken an tiefgefrorene Entenbrust verscheuchen zu müssen. Valery Gergiev, der Stardirigent aus Sankt Petersburg, ist an Russlands größtem Entenfleischhersteller beteiligt, und dieses Unternehmen mit dem rätselhaften Namen Eurodon verkündete kürzlich seine anspruchsvollen Ziele: 130 Tonnen Truthahn im Jahr, 40 Tonnen Entenfleisch im Jahr . . .

Der Künstler und sein Business. Der Künstler mag ja genial sein, das Business mag anspruchsvoll sein, es passt halt manchmal nicht zusammen. Wie sagt Dmitri Karamasow bei Dostojewski? "Der Mensch ist breit angelegt, gar zu breit; ich wollte ihn enger fassen."

Nun also die beiden hochbegabten Regisseur-Brüder. Andrej Michalkow-Kontschalowskij, Jahrgang 1937, und Nikita Michalkow, 1945. Preisverwöhnt (Venedig, Cannes, Hollywood) und überproportional einflussreich in Russlands kleinem Filmuniversum. Die beiden wollen jetzt eine Gastronomiekette gründen. Sie soll "Daheim essen" heißen und der ausländischen Fastfood-Invasion endlich Einhalt gebieten. Da andere Versuche in patriotischer Kulinarik ("Rusburger", "Russkoje Bistrot") bis jetzt nur überschaubaren Erfolg aufweisen, wenden sich die Brüder direkt an Wladimir Putin.

Das tun viele in Russland - zum Beispiel, wenn es im Dorfkrankenhaus keine Medikamente mehr gibt, oder wenn das Kanalisationsrohr platzt und keiner vorbeikommt, um es zu reparieren. Wladimir Putin kriegt viel Post. Diese beiden Brüder können aber tendenziell mit wohlwollender Aufmerksamkeit rechnen. Sie haben dem Präsidenten einen Brief geschrieben, in dem kunstferne Ausdrücke vorkommen wie: "dem Importersatz förderlich sein". Die politische Lage für solche Projekte ist weiß der Himmel günstig, die Brüder erbitten sich umgerechnet 18 Millionen Euro Startkapital - und nach penibel durchgerechneten 4,8 Jahren soll sich die Investition rentieren. Wladimir Putin wies seine Regierung an, das Projekt zu prüfen.

Daheim essen - im Ausland scheißen, so kommentiert ein unpatriotischer Witzbold auf vk.com, Russlands größtem Sozialnetz. Erstaunlich ist aber nicht die Zuwendung der Künstler zu Fressalien. "Daheim essen" heißt bereits eine von Andrej Kontschalowskij produzierte Kochshow, in der seine Frau, eine hochbegabte Schauspielerin, auftritt. Die Frau besitzt zudem einpaar Restaurants in Moskau, allerdings noch nicht in der Kategorie Fastfood, sondern eher im gehobenen Segment. Im Food Embassy kostet ein durchschnittliches Menü nicht unter 35 Euro. Der jüngere Bruder Nikita wiederum versucht sich neben dem Kino in Geschäften mit Wein, Diamanten und Holz.

Merkwürdig ist vielmehr, dass die beiden sich überhaupt zusammentun. Sie sind sich sonst nicht grün. Nikita Michalkow vertritt monarchistische Ansichten und bat Putin, als dessen beide von der Verfassung erlaubte Amtszeiten abgelaufen waren, weiter zu herrschen. "Russland braucht Ihr staatsmännisches Talent, Ihre politische Weisheit", schrieb er in einem Brief. Kontschalowskij hingegen, der schon mal mit Sylvester Stallone gedreht und an der Scala inszeniert hat, verglich Putin erst vor zwei Jahren mit dem mongolischen Gewaltherrscher Batu Khan (13. Jahrhundert). Russlands Verfassung, all die Gesetze und Gerichte, rügte er, seien lediglich dazu da, die Entscheidungen des Herrschers zu legitimieren. Vor vier Jahren versuchte Kontschalowskij zu verhindern, dass ein Film seines Bruders für den Auslandsoscar ins Rennen geschickt wurde. Dessen jüngste Filme sind nämlich eher schwach.

Und nun diese Eintracht! Allerdings war schon der Vater der beiden, Sergej Michalkow, "breit angelegt". Er dichtete erst die Nationalhymne der Sowjetunion - und nach deren Ende dann die Nationalhymne der Russischen Föderation.

© SZ vom 11.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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