Russland:Giftig wie die Freiheit

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Viele Russen haben zu ihrem ersten Präsidenten Boris Jelzin ein gespaltenes Verhältnis. Nun fällt auch noch der Regisseur Nikita Michalkow über das Jelzin-Museum in Jekaterinburg her. Jelzins Witwe Naina kontert stur. Über einen entlarvenden Streit.

Von Frank Nienhuysen

Die Kommunisten sahen in Boris Jelzin, Russlands erstem Präsidenten, ihren innerrussischen Lieblingsfeind, deshalb rächten sie sich nach seinem Tod sonderbar. Bei einer Schweigeminute in der Duma 2007 blieben sie aus Protest einfach sitzen. Jelzin sei als Zerstörer Russlands in die Geschichte eingegangen, sagte damals der Abgeordnete Viktor Iljuchin so pietätlos wie trotzig. Immerhin hat der vermeintliche Russland-Zerstörer vor einem Jahr mit höchsten politischen Weihen ein eigenes Museum erhalten, in Jekaterinburg am Ural. Der Staat hatte Dutzende Millionen Euro ausgegeben für den modernen Neubau. Und Präsident Wladimir Putin kam zur Eröffnung.

Das Jelzin-Zentrum ist seitdem nie ganz aus der Debatte verschwunden. Die nationalistischen Liberaldemokraten schlugen sogar einmal vor, das Museum ins Register der "ausländischen Agenten" einzutragen, weil dort für ihren Geschmack zu viel Freiheit und Demokratie propagiert wird. So groß wie dieser Tage war der Lärm allerdings noch nie. Das liegt sicher an den Protagonisten dieser heftigen Fehde: auf der einen Seite Naina Jelzina, die 84 Jahre alte Witwe, auf der anderen Seite Oscar-Preisträger Nikita Michalkow, Russlands bekanntester Filmregisseur.

Bei einer Anhörung im Föderationsrat warf Michalkow dem Jelzin-Zentrum vor, es wolle das nationale Selbstbewusstsein Russlands zerstören. Er sprach von einer ständigen Injektion und Hunderten Kindern, die dort jeden Tag "dieses Gift" erhielten. Schon vor Monaten hatte der Regisseur gefragt, was denn aus all diesen Kindern einmal werde, wenn sie so etwas in den Dokumentationsfilmen des Zentrums präsentiert bekommen: "Bis 1990 lauter Abscheulichkeiten, Schmutz, Verrat, Sklaverei, Blut, Gräuel und so weiter. Der einzige Lichtstrahl in dieser dunklen Herrschaft - die Erscheinung von Boris Nikolajewitsch Jelzin."

Lange hatte die Witwe geschwiegen, diesmal antwortete sie. "Tief empört", zeigte sich Jelzina, "schon seit Monaten verbreitet Michalkow Lügen darüber, wie im Museum des ersten russischen Präsidenten die Geschichte des Landes dargestellt wird". Dass Michalkow bisher das Zentrum noch gar nicht besucht hat, was ihm Jelzins Witwe denn auch vorhielt, ist dabei noch das geringere Detail. Vor allem dürfte es in dem Konflikt um die Deutungshoheit über die russische Geschichte gehen.

Ohne Jelzin, damals physisch und politisch entkräftet, hätte es um die Jahrtausendwende womöglich den Premier und Präsidenten Putin nicht gegeben. Doch längst ist der einstige Mythos Jelzins verblasst. Heute steht er in den Augen der meisten Russen für eine Epoche der Gesetzlosigkeit, skrupelloser Oligarchen, der Armut, Demütigung und Bittstellerei gegenüber westlichen Kreditgebern. Dem will das Jelzin-Zentrum etwas entgegensetzen.

Das Museum hebt die Umbrüche vor 25 Jahren hervor, die abgewirtschaftete Sowjetunion, die Gier nach mehr Freiheit, Pluralismus, nach einem Ende von Gängelei und Duckmäusertum. Genau daran aber wollen heute im Rausch des neuen Patriotismus gar nicht so viele erinnert werden. Kulturminister Wladimir Medinskij schlägt sich im Streit über das Jelzin-Zentrum auf Michalkows Seite. Aus Russland habe man die gesamte Geschichte herausgetrennt, weil sie nicht dem Dogma irgendeiner "europäischen Zivilisation" entspreche. Michalkow selber blendet aus seiner eigenen Geschichte auch etwas aus: 1996 hat er Jelzin bei dessen Wiederwahl als "dynamischen Anführer" unterstützt: "Boris Nikolajewitsch ist ein Russe, ein echter Kerl." Dafür sind Museen da - gegen das Vergessen.

© SZ vom 14.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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