Rubens und die Wissenschaft:Planeten und Geheimnisse

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In seinen Werken spiegeln sich Mathematik und Astronomie. Heimlich arbeitet Rubens auch an einem alten Traum: dem Perpetuum mobile.

Von Sandra Danicke

Konzentriert balanciert Rubens' "Apokalyptisches Weib" (um 1623/25) mit dem rechten Bein auf einer Kugel. Ein artistischer Akt, der dadurch erschwert wird, dass die Frau ein Baby im Arm hält und sich um ihren Fuß eine Schlange kringelt. Bei der Kugel handelt es sich um den Mond, der zugleich als Sichel und als vollständiger Planet gezeigt wird. Bemerkenswert sind die dunklen Flecken, die Rubens von Galileo Galilei übernommen hat. Der italienische Universalgelehrte hatte sie 1610 entdeckt. Als Galilei 1609 von einem Fernrohr erfahren hatte, das der deutsch-niederländische Brillenmacher Hans Lipperhey im Jahr zuvor erfunden hatte, baute er selbst eins. Als einer der Ersten nutzte Galilei das Instrument zur Himmelsbeobachtung und verursachte damit eine Revolution in der Astronomie. Rubens war schwer beeindruckt.

Er beschäftigte sich mit den wissenschaftlichen Forschungsergebnissen seiner Zeit und eben auch damit, dass der Mond an der Oberfläche Hügel und Krater aufweist. Auch Galileis Entdeckung der vier größten Monde des Jupiters verfolgte der Maler mit großer Aufmerksamkeit. Er integrierte sie in sein Gemälde "Ursprung der Milchstraße" (1636 - 38), wo der personifizierte Jupiter, der zuschaut, wie Göttin Juno seinen Sohn stillt, von vier leuchtenden Monden bekrönt wird.

Rubens beschäftigte sich in seinen Werken, etwa in der "Grablegung Christi" um 1612, mit Farbtheorien und mathematischen Anordnungen. (Foto: J. Paul Getty Museum)

Rubens verfügte über eine umfangreiche Bibliothek zu den verschiedensten Fachgebieten, von Zoologie bis Medizingeschichte. "Als er 1601 nach Italien kam, stand er im Austausch mit dem Kreis um den Paduaner Gelehrten Giovan Vincenzo Pinelli und dem Mathematiker Fra Paolo Sarpi, dem auch Galilei angehörte", schreibt der Wiener Kurator Stefan Weppelmann im Katalog: "In Rom verkehrte er sodann mit den Mitgliedern der römischen Accademia dei Lincei (der Luchse), deren ,Studium Universale' Empirik und humanistische Tradition verband. In diesen Zirkeln, die neben Rubens auch von anderen Künstlern frequentiert wurden, kam es zu einem regen Austausch. Erkenntnis wurde bildhaft nachvollzogen, Bilder erhielten neue und gesteigerte Faktizität."

1608 kehrte Rubens wegen seiner kranken Mutter nach Antwerpen zurück. Die Gelehrten, mit denen er sich hier umgab, interessierten sich vornehmlich für Mathematik und Geometrie. Welchen Einfluss diese Kontakte auf Rubens' Kunst hatten, lässt sich auf zahlreichen Bildern nachvollziehen. Manchmal kommt es einem regelrecht vor, als habe der Künstler zur Komposition erst einmal ein gigantisches Geodreieck ausgepackt. Es wimmelt nur so von Dreiecksanordnungen, meistens bilden die Köpfe die Eckpunkte, manchmal auch Hände oder Füße. Rubens liebte Diagonalen. Weppelmann weist zudem auf die konischen Körper der Hauptfiguren bei den zu dieser Zeit entstandenen Gemälden "Verkündigung" und "Himmelfahrt Mariens" hin. Bei den "kreisförmigen Bewegungsabläufen" auf den Antwerpener Altären, so Weppelmann, "erscheinen ebenfalls mathematische Probleme effektvoll in Form übertragen".

"Modello für den Augustineraltar" um 1627/28. (Foto: Städel Museum/ARTOTHEK)

Wie eine doppelte Parabel schwingt etwa der Bewegungsfluss in "Wunder des Hl. Franz Xaver" (um 1617/18) von der rechten zur linken Seite und wieder zurück gen Himmel. Auch an Farbtheorien war Rubens interessiert, selbst wenn er sich an kein System akribisch gehalten hat. Auch nicht an jenes des Mathematikers Franciscus Aguilonius, dessen damals wegweisendes Werk über physiologische Optik er selbst illustriert hat. Der belgische Gelehrte unterschied zwischen "wahren Farben" auf Gegenständen, "vorgestellten Farben", die von Körpern abgestrahlt werden, und "fantastischen Farben" ohne Gegenstände (etwa ein Regenbogen). Die Erkenntnis, dass sich die Farbigkeit der Welt immer wieder neu und anders präsentiert, dass auch die "wahren Farben" - je nach Umgebung und Lichtverhältnissen - Veränderungen unterworfen sind, demonstrierte Rubens auf das Prächtigste. Bei ihm kann ein und dasselbe Objekt ganz verschiedene Farbpartien haben, man schaue sich nur das "weiße" Lendentuch auf "Ecce Homo" (ca. 1612) oder die Metallschüssel in der "Beweinung Christi" (1614) an. Ob Rubens jedoch eigene farbtheoretische Erkenntnisse zum Werk des Aguilonius beisteuerte, wie gelegentlich vermutet wird, steht nicht mit Sicherheit fest. Ein Text des Künstlers zum Thema gilt heute als verschollen.

Eindeutig von den Theorien des Mathematikers inspiriert ist eine zarte Kreidezeichnung, die sich heute im British Museum befindet und Bäume abbildet, die sich im Wasser spiegeln. "Die Bäume widerscheinen im Wasser brauner und viel perfekter als die Bäume selbst", hat Rubens darauf geschrieben.

Zu seinen Freunden zählte auch der französische Astronom Nicolas-Claude Fabri de Peiresc, dem er 1623 in einem Brief begeistert von einer "Entdeckung" berichtete: "Ich bin sehr froh, dass Ihr die Zeichnung des Perpetuum mobile empfangen habt, die auf das Genaueste in der Absicht gemacht ist, Euch das Geheimnis dieser Entdeckung zu übermitteln. Wenn Ihr in der Provence sein werdet und es erprobt habt, so verpflichte ich mich für den Fall, dass es nicht gelingen sollte, alle Eure Zweifel zu zerstreuen. Vielleicht, ich kann es noch nicht bestimmt zusagen, vermag ich meinen Gewährsmann zu bewegen, ein solches Instrument mit seinem Gehäuse machen zu lassen, ganz so, als ob ich es für mein geheimes Atelier benötigte. Kann ich es dann erlangen, so mache ich es Euch mit Freuden zum Geschenk."

Rubens verfügte also über ein "geheimes Atelier". Er wusste wie man ein Perpetuum mobile konstruiert. Wie schade, dass wir nicht mehr darüber wissen. Aber wenn man es jemandem zutraute, dann Rubens, dem Tausendsassa unter den Malern.

© SZ vom 09.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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