Romanverfilmung:Sand im Getriebe

Lesezeit: 2 min

Erstickt in Sentimentalität: Eine aufwendige, internationale Neuverfilmung von Regisseur Vincent Perez banalisiert Hans Falladas "Jeder stirbt für sich allein", den großen Roman vom Widerstand gegen Hitler.

Von Rainer Gansera

Nadelstiche gegen das verhasste Regime: "Der Hitler-Krieg ist des Arbeiters Tod!" schreibt Werkmeister Otto Quangel (Brendan Gleeson) auf eine Postkarte, und auf die nächste: "Keinen Frieden mit der teuflischen Hitler-Regierung!" Er gibt sich Mühe, seine Handschrift zu verstellen - jeder Akt des Widerstands ist hochgefährlich.

Seine Frau Anna (Emma Thompson) hilft ihm dabei, die Karten an öffentlichen Orten zu platzieren. Die beiden agieren aus eigenem Antrieb - vor Jahren noch waren sie Hitler-Wähler, aber nun, 1940, ihr Sohn ist an der Front gefallen, wechseln sie die Seiten, wollen "Sand im Getriebe der Nazi-Maschinerie" sein. Doch sie bleiben Einzelkämpfer, und Kommissar Escherich (Daniel Brühl) ist ihnen mit großem Fahndungsaufwand auf der Spur.

In fiebriger Eile tippte Hans Fallada im Jahr 1946 "Jeder stirbt für sich allein", seinen letzten Roman, auf 850 Schreibmaschinenseiten: die Geschichte des Ehepaars Quangel, ausgehend von "Gestapo-Akten über die illegale Tätigkeit eines Berliner Arbeiter-Ehepaares während der Jahre 1940 bis 1942". Das Buch erlangte hohe Auflagen und höchstes Lob. "Das beste Buch, das je über den deutschen Widerstand gegen den Nationalsozialismus geschrieben wurde", urteilte etwa Primo Levi, es wurde mehrmals verfilmt und avancierte 60 Jahre nach Erscheinen mit seiner englischen Übersetzung zum internationalen Bestseller. Dieser Erfolg beförderte 2011 die ungekürzte Neuausgabe des Romans und nun die neuerliche Kino-Adaption.

Entstanden ist eine aufwendige internationale Produktion mit imposanter Starbesetzung. An fähnchenschwingender Statisterie mangelt es nicht, aber es fehlt dem Schweizer Regisseur Vincent Perez jeder zündende Funke - und ein Gespür für das, was die Romanvorlage Hans Falladas auszeichnet: das unbestechliche ZeitbildGemälde, die Vielschichtigkeit der Charaktere, die aufwühlende Schilderung einer Atmosphäre, in der Angst, Misstrauen, Denunziation und Feigheit den Alltag in jeder Faser vergiften.

Dass Vincent Perez das weit verzweigte Handlungsgeflecht des Romans rabiat beschneidet und zum Beispiel die kommunistische Widerstandszelle ganz weglässt, mag vertretbar sein, doch fatal bleibt die Reduktion der Story auf das kriminalistische Szenario und die Banalisierung des Personals nach dem gängigen Schema für Filme aus dem Dritten Reich: Hier die braven Kleine-Leute-Helden, dort die brüllenden Nazischergen, dazwischen die Opportunisten und Mitläufer. Den Akteuren fehlt dramatischer Raum zur Entfaltung, und die Geschichte, die ihre guten Absichten allzeit demonstrativ vor sich herträgt, erstickt dabei in Sentimentalität.

Jeder stirbt für sich allein , D/F/GB 2016 - Regie: Vincent Perez. Buch: Achim von Borries, Vincent Perez, nach dem Roman von Hans Fallada. Mit: Emma Thompson, Brendan Gleeson, Daniel Brühl, Mikael Persbrandt. X-Verleih, 102 Minuten.

© SZ vom 17.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: