Roman für Kinder:Magische Welt

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Autor Franz Hohler schickt zwei Kinder nicht nur in die Ferien, sondern gleich auf eine Zeitreise.

Von Barbara Hordych

Am Anfang war da die Idee, eine Geschichte über zwei Kinder zu schreiben, die in eine andere Welt fallen, sagt der Schweizer Autor und Kabarettist Franz Hohler. Als Ort des Geschehens wählte er ein Bergtal, in dem der zehnjährige Jona und seine achtjährige Schwester Mona mit ihren Eltern die Sommerferien verbringen. In einem solchen Tal machten auch der 72-jährige Autor und seine Frau mit den beiden Söhnen alljährlich Ferien, sagt Hohler, der sein neues Buch "Die Nacht des Kometen" (Hanser Verlag) vor Kurzem auf der Frankfurter Buchmesse vorstellte. Die Spiele der Kinder, einerlei ob in der Realität oder in der Fiktion, sind dieselben: Am Bach türmen sie Steinmännchen auf, in den auffallend geformten Felsen erkennen sie Tiere, und bei ihren Wanderungen können sie mit etwas Glück Murmeltiere beobachten. "Auch unser Bergtal, in das unsere Söhne heute mit ihren eigenen Familien kommen, ist murmeltierreich, es gibt sogar einen Murmeltierlehrpfad", erzählt Hohler.

Dass die "Steinmannli", die Mona und Jona bauen, in ihrer Fantasie irgendwann die Gestalt von Römern annehmen, geschieht beinahe zwangsläufig: Finden sie doch eine römische Münze und erfahren von ihrem Vater, dass ganz in der Nähe ihres Tals tatsächlich einmal eine alte römische Straße über den Pass geführt habe. Soweit, so historisch belegt. Aber dann passieren auf einmal Dinge, für die niemand eine rechte Erklärung findet: Der große Stein mit den zwei Höckern, den die Kinder als "Kamelfelsen" bezeichnen, bleibt seltsamerweise warm und trocken, obwohl ein heftiges Gewitter auf die Geschwister und ihre Eltern Daniel und Ruth niederprasselt. Und dann wird die Familie Zeuge einer Szene, in der ein Murmeltier durch einen gewaltigen Pfiff vor einem Schäferhund gerettet wird. Der gellt so laut vom "Murmeltierfelsen" her, dass der Vater konstatiert: "Das kann nicht sein" - und nach einer Erklärung für das Eigenleben des Felsens sucht: "Wo sind wir hier?" - "Vielleicht sind wir in einer Alpensage hineingeraten", vermutet seine Frau. Ob diese seltsamen Ereignisse vielleicht mit der ganz besonderen Nacht zusammenhängen, in der ein Komet der Erde ganz nahe kommen soll? Solche Nächte, das weiß Samuel, der Senn auf der Alp hinten im Tal, standen schon immer in Verbindung mit besonderen Naturereignissen. Und Samuel weiß noch mehr: "So wie die Mauer Risse haben kann, hat auch die Zeit Risse, ganz kleine, feine Risse, Spalten. Ab und zu aber öffnet sich ein solcher Zeitspalt, und wir sind in einer anderen Zeit, oder die andere Zeit ist bei uns", erklärt der Senn mit dem langen Bart und wilden weißen Haarkranz.

Gerade noch kann sich Samuel am Kamel der Geschwister Mona und Jona festklammern. Abbildungen: Hanser/Schärer (Foto: für Literaturfest Beilage)

Bethlehem schien mir ein naheliegendes fernliegendes Ziel für die Zeitreise der beiden Geschwister"

"Mich hat die Vorstellung schon immer fasziniert, dass man des Nachts so stark träumt, dass morgens etwas davon zurückbleibt", sagt Hohler. Der dieses Motiv bereits in seinen Büchern vom kleinen Tschipo einsetzte, der kraft seiner Träume in einer anderen Wirklichkeit landet. Insbesondere die Beweglichkeit im Denken der Kinder beeindruckt Hohler, "sie haben keine Mühe mit der magischen Welt". In der Nacht des Kometen wird der Sprung in eine magische Welt zur fiktiven Realität: Mona und Jona, auf ihrem "Kamel-Observatorium" sitzend, wie die Mutter scherzend sagt, wollen als Sternengucker das Auftauchen des Kometen verfolgen. Und finden sich auf ihrem lebendig gewordenen Kamel plötzlich in einer anderen Welt wieder - in Palästina, zur Zeit von Jesu Geburt. Die Worte, die sie dort hören, verstehen sie nicht. Nur dass die hochschwangere Frau, die sie auf ihrem Weg durch die Wüste zu der Stadt auf dem Hügel treffen, "Mirjam" heißt, und ihr Mann "Yusuf", verstehen sie. Aber was der bedrohlich wirkende Römer von ihnen will, der ihnen den Eintritt in die Stadt verwehrt, ist ihnen schleierhaft. Auch warum das kurz darauf in einem Stall geborene Kind so eine Anziehungskraft auf Tiere und Menschen ausübt, die laut singend "Malko!" rufen, können sie sich nicht erklären. Erst später, nach ihrer Rückkehr in die Gegenwart, erfahren die beiden, dass sie auf ihrer Zeitreise wohl Wörter in aramäischer Sprache aufgeschnappt haben - in der ist "Malko" gleichbedeutend mit "König". Aramäisch war im Land Israel vor 2000 Jahren die Umgangssprache, wie Vater Daniel bei Internetrecherchen feststellt. Auch "Taudi" und "Kukwo" kommen aus dem Aramäischen, was übersetzt "Danke" und "Stern" heißt. Muss man noch extra erwähnen, dass Mirjam und Yusuf die Namen für Maria und Josef sind?

"Bethlehem war für mich ein naheliegendes fernliegendes Ziel der Zeitreise", sagt Hohler. Bezüglich der aramäischen Wörter habe er sich beim Dichterkollegen Rafik Schami rückversichert. Die Wörter stellen den Vater im Buch vor ein Rätsel: "Wie hätten seine Kinder diese Wörter erfinden können, wenn sie sie nicht wirklich gehört hätten?" Mutter Ruth beschwichtigt. "Man kann nicht alles erklären, Daniel." Und rät: "Glaub es doch einfach." Inwieweit man dieser, von Kathrin Schärer wunderbar poetisch illustrierten Geschichte Glauben schenken will oder nicht, darf jeder selbst entscheiden.

(Foto: für Literaturfest Beilage)

"Die Nacht des Kometen", Lesung mit Franz Hohler am Sonntag, 29. November, um 15 Uhr im Gasteig.

© SZ vom 12.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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