Roman der Abenteuer:Auf der Suche nach El Dorado

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Wie aus dem 1842 geborenen Sohn eines rheinländischen Weinhändlers ein Ingenieur und der Entdecker von Machu Picchu wurde, erzählt Schriftstellerin Sabrina Janesch farbig und genau.

Von Ulrich Baron

Eben noch ist Rudolph Berns von einer polnischen Prinzessin geküsst worden und zusammen mit anderen Schülern seines Elitegymnasiums durch Berlin gestreift, da scheint sich ein lange gehegter Traum erfüllen zu wollen. Vor ihm breiten sich die Weiten des südamerikanischen Kontinents aus, und irgendwo dort muss jene goldene Stadt liegen, von der er schon als Kind am Rheinufer geträumt hat. Statt auf El Dorado aber fällt sein Blick auf eine Kaffeetasse, die sein unfreiwilliger Gastgeber Alexander von Humboldt auf der einen ganzen Tisch bedeckenden Landkarte abgestellt hat.

Die 1985 in Gifhorn geborene Sabrina Janesch hat diese Schlüsselszene ihres Romans als ironische Kippfigur gestaltet. Der alte Mann, der ein Vermögen für die Entdeckung der Welt ausgegeben hat, sieht sich beim Schreiben seines "Kosmos" von einem jungen gestört, der nach dem suchen will, was Bücher ihm zu versprechen scheinen. Der längst zum Stubengelehrten vergreiste Entdecker soll helfen, die Schätze der Inka zu finden, will es aber partout nicht: "Schatzsuche", so sagt er ungehalten, "sei keine Arbeit, sondern Wahnsinn." Lieber solle Rudolph sich als Ingenieur ausbilden lassen und einen Kanal durch Panama graben!

Humboldts Rat ist zunächst ins Leere gesprochen, aber bei ihrer Begegnung ahnt sein junger Gast noch nicht, dass ein tragisches Unglück da schon seine privilegierte Kindheit um 1858 beendet hat. Wie aus dem 1842 geborenen Sohn eines rheinländischen Weinhändlers ein Berliner Gymnasiast, ein Metallarbeiter und später dann in Peru doch noch ein Ingenieur, ein Landvermesser, Kanalbauer und Entdecker geworden ist, hat Sabrina Janesch akribisch recherchiert und mit viel Zeitkolorit spannend erzählt. Angeregt durch Zeitungsartikel, die ab Mitte 2008 davon berichteten, nicht der Amerikaner Hiram Bingham habe 1911 die Inka-Festung Machu Picchu entdeckt, sondern schon 1876 der deutsche Augusto Berns, hat sie aus ihm einen Romanhelden gemacht, dessen El Dorado am Ende im doppelten Sinn nur auf dem Papier zu finden ist.

"Huacas del Inca", die Schätze der Inka versprachen die von Berns 1887 aufgelegten Aktien einer geplanten Explorationsgesellschaft. Sie fanden reißenden Absatz, brachten ihren Käufern aber am Ende nicht mehr ein als die goldene Weisheit, dass man eine Katze nicht im Sack kaufen sollte. Wenn Machu Picchu jemals El Dorado gewesen sein sollte, so hatte jemand es quasi besenrein geräumt. Inmitten der allgemeinen Verstimmung, die darauf folgte, muss Rudolph Berns dann spurlos verschwunden sein.

Sabrina Janesch: Die goldene Stadt. Verlag Rowohlt Berlin, Berlin 2017. 528 Seiten, 22,95 Euro. E-Book 19,99 Euro. (Foto: N/A)

In Janeschs Roman taucht er nun Jahrzehnte später noch einmal auf, um Hiram Bingham zu begegnen. Und wieder kippt die Szene ins Ironische, als der alte Abenteurer seinen Nachfolger begrüßt, dessen Wangen noch von den Nähten des Federkissens gezeichnet sind, auf dem er soeben erwacht ist: "Sie sind also Entdecker."

"Ich werde es erkennen. El Dorado wurde von Leuten wie mir erbaut."

In Berns' Leben habe sie den "Stoff großer Abenteuergeschichten" entdeckt, "wie ich sie als Kind so sehr geliebt hatte", verrät die Autorin. Aber lässt sich auch jener naive Glaube wiederbeleben, man könne in fremden Ländern ganz ungeniert nach "Schätzen" suchen, Gräber schänden, Tempel plündern und archäologische Fundstätten verwüsten? Berns und seine Zeitgenossen hegten noch keinerlei Zweifel daran, dass die Schätze der Inka dem gehören würden, der zuerst Hand an sie legte. Doch Janesch hat ihrem Romanhelden eine Haltung eingeschrieben, für die das Gold der Inka eher Mittel als Zweck ist - sein "kaleidoskopisches Denken" verbindet Wirklichkeit und Fantasie. Wo andere nur nebelverhangenen Dschungel und Schwindel erregende Berge sehen, sieht er die Hinweise auf eine Stadt, die außer ihm niemand dort für möglich gehalten hätte. Auf die Frage seines amerikanischen Kompagnons Singer, woran er seine goldene Stadt denn erkennen würde, antwortet Berns deshalb: "Ich werde es erkennen. El Dorado wurde von Leuten wie mir erbaut."

Janeschs Buch beschwört noch einmal die Phantasmen des 19. Jahrhunderts herauf, deren Gold verheißende Anteilsscheine sich mit dem Verschwinden von Berns in Makulatur verwandeln. Aus dem historischen Vorbild hat sie einen Helden gemacht, der eher ein abenteuerliches Herz und ein Entdecker als ein bloßer Schatzsucher ist. Am Ende ist sein Leben, ist sein Betrug so vergessen, dass Augusto Rudolfo Berns sich seinem Nachfolger Bingham unbesorgt mit vollem Namen vorstellt. Wohl wissend, dass er sich den Erbauern seines El Dorados als geistesverwandt erweist, indem er die Rätsel, die diese Stadt umgeben, noch um ein paar weitere vermehrt.

© SZ vom 20.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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