Roman: Das Matratzenhaus:Das Böse ist normal

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Spurensuche an Kinderkörpern: In Paulus Hochgatterers Roman Das Matratzenhaus werden Schutzbefohlene misshandelt.

Christoph Schröder

Dass in der vermeintlich größten Idylle die schlimmstmögliche Form der Verrücktheit zu herrschen vermag, ist eine literaturgeschichtliche Binsenweisheit. Wenn es sich beim Schauplatz der Handlung auch noch um Österreich handelt, ist besondere Vorsicht geboten - in Paulus Hochgatterers neuem Roman hat sich das Böse, das Niederträchtige, das Gestörte so weit in den Alltag eingeschliffen, dass es zunächst gar nicht weiter auffällt.

Es braut sich etwas zusammen in Furth am See, dem imaginären Schausplatz des RomansDas Matratzenhaus. (Foto: Foto: Getty Images)

Es gibt eine bezeichnende Passage, in der ein schizophrener Pater sein Verhältnis zu den Dingen erklärt: "Das sei der Irrtum, dem die Leute unterlägen -dass sich das Verrückte immer ganz fürchterlich anfühlen müsse. Im Gegenteil sagt er, alles andere fühle sich fürchterlich an, die Menschen ringsherum, vor allem die sogenannten Nächsten, die eigene Geschichte, alles, was man großspurig die Welt nenne oder die Realität."

Nach diesem Prinzip ist Das Matratzenhaus in seinem Inneren aufgebaut. Für die Handlungsoberfläche hat Hochgatterer eine Krimihandlung erdacht, deren Auflösung zum Teil recht krude ist und zu einem anderen Teil erst gar nicht erfolgt. Denn darum geht es auch nicht.

Zwei der Hauptfiguren kennt man schon aus Hochgatterers voran gegangenem Buch "Die Süße des Lebens", das ebenfalls in dem fiktiven Ort Furth am See angesiedelt war: den Kinderpsychologen Raffael Horn und den Kriminalkommissar Ludwig Kovacs.

Ihnen gehören die beiden eher distanzierten, in der dritten Person erzählten Stimmen; die anderen beiden sind unmittelbarer, persönlicher, angreifender und angreifbarer - die einer Lehrerin und die eines jungen Mädchens; eines indischen Adoptivkindes, wie sich nach und nach herausstellt. Bei diesem Mädchen, so viel darf verraten werden, laufen letztendlich alle Fäden zusammen; ihre Passagen sind es, die zugleich das Geschehen vorantreiben und mit einer zunächst nicht näher bestimmbaren Düsternis aufladen.

Es braut sich etwas zusammen in Furth am See. Kinder der ersten und zweiten Schulklassen werden geschlagen und kommen mit Hämatomen nach Hause. Über das, was ihnen geschehen ist, wollen sie nichts erzählen, außer dass eine große schwarze Glocke im Spiel gewesen sein soll; eine Aussage, die dem Psychologen Horn nicht weiterhilft. Parallel dazu ermittelt Kommissar Kovacs im Fall eines von einem Gerüst gestürzten jungen Maurergesellen.

War es Mord? Selbstmord? Oder doch bloß ein Unfall? Das Matratzenhaus ist ein alpenländischer film noir. Nicht nur die Natur ist verdunkelt, vor allem die persönlichen Verhältnisse sämtlicher Figuren sind es. Die Lehrerin hat ein Verhältnis mit dem verrückten Pater und schneidet sich in Stressmomenten die Arme mit Glasscherben auf. Der Pater selbst ist joggingsüchtig und ohne seinen iPod offensichtlich gar nicht existenzfähig. Durch die Bevölkerung von Furth zieht sich eine Mischung aus unterschwelliger, selbstverständlicher Gewalt und Ausländerfeindlichkeit. Und das Familienleben? Von einem solchen mag man gar nicht reden.

Die moralischen Maßstäbe, so scheint es, sind im buchstäblichen Sinne verrückt, und das gilt auch für die beiden Protagonisten, den Kommissar und den Psychologen. Raffael Horn ist der am subtilsten gestaltete Charakter des Romans, was möglicherweise damit zu tun hat, dass Paulus Hochgatterer selbst nach wie vor als Kinderpsychologe in Wien praktiziert.

Das Kind riecht nicht gut

In Horn wird der Konflikt, der in Das Matratzenhaus ausgefochten wird, exemplifiziert: Inwieweit lässt man etwas in sich selbst zu, was nicht gesellschaftsfähig oder gar kriminell ist? Und welche Auswirkungen hat dieser innere Widerstreit ganz konkret auf gesellschaftliche Zustände?

Neben der Eifersucht auf einen Nebenbuhler und Streitigkeiten innerhalb der psychiatrischen Klinik hat Horn ein Problem (das ihn im Übrigen mit dem geschiedenen Ludwig Kovacs verbindet): Er mag seine Kinder nicht sonderlich. Der ältere Sohn Michael ist bereits im Streit mit der Mutter ausgezogen; der fünfzehnjährige Tobias riecht nicht gut, tut Dinge, die Horn nicht versteht, steht unter dem Generalverdacht des Kiffens und kümmert sich auf für seinen Vater unverständlich intensive Weise um die Familienkatze.

Das Motiv der geschlagenen und misshandelten Kinder ist das zentrale des Textes; jeder fragt sich selbst irgendwann, ob er jemals die eigenen Kinder geschlagen habe. Die Antwort ist immer positiv. Das Matratzenhaus ist auch ein Buch über Missverständnisse und Erwachsene, die die Fähigkeit zum genauen Zuhören verlernt haben.

Paulus Hochgatterer zieht alle Register psychischer Deformationen. Vom kleinen Spleen über die unterbewusste Störung bis hin zur handfesten Schizophrenie. All das geschieht ohne Effekthascherei, ohne Trivialisierungstendenzen, ohne Sensationslust, in einer ruhigen, durch und durch reflektierten Sprache, die die Lücke zwischen Reflexionsfähigkeit und Realität noch größer erscheinen lässt.

Man kann den geschickt arrangierten Roman als eine Sammlung von vier Charakterstudien lesen; als vier Porträts von Menschen, die auf engem Raum nebeneinander leben, deren Alltag sich auf durchaus verhängnisvolle Weise berührt, ohne dass sie die Signale dafür erkennen.

Sein Beruf, so sagt Raffael Horn es einmal, sei es, den Dingen Bedeutung zu geben. Gleiches gilt für den Romanautor Hochgatterer: In seiner perspektivisch verengten Erzählweise liefert er vereinzelte Erkenntnispartikel. Wer sie zusammenfügt, dem zeigt sich kein schönes, aber ein kunstvolles Bild.

PAULUS HOCHGATTERER: Das Matratzenhaus. Roman. Deuticke Verlag, Wien 2010. 294 Seiten, 19,90 Euro.

© SZ vom 16.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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