Roadmovie:Vampire, Höllenhunde, Autodiebe

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Dirk Pope: Abgefahren. Hanser Verlag, München 2018. 230 Seiten, 15 Euro. (Foto: verlag)

In diesem Roadmovie ist ein jugendlicher Held auf dem Weg nach Rumänien.

Von Thomas Feiler

Wenn man als Teenager um die 17 Jahre noch nie ein Bier getrunken hat und nach einer 1814 Kilometer langen Autofahrt mit einer Leiche im Kofferraum zum ersten Mal im Leben Uică, einen rumänischen Schnaps, angeboten bekommt, sagt man nicht Nein. Man schüttet das Gesöff herunter und versucht zu begreifen, wie es zu allem gekommen ist. Wie Viorel, der überlegt, wie es weitergeht, wie er den rumänischen Heimatort seiner Mutter finden kann., die in ihrer kleinen Wohnung in Deutschland gestorben ist. Einfach so. Ohne Drama.

Am Anfang der Geschichte sind schon zwei Tage nach dem Tod der Mutter vergangen und Viorel ist bereits 279 Kilometer von Essen aus in Richtung Rumänien unterwegs. Im Kofferraum: die tote Mutter. Sein Ziel: sie in ihrer Heimat in Rumänien begraben.

Solche Selbstfindungsroadmovies sind mit "Tschick" von Wolfgang Herrndorf ein eigenes Genre in der Jugendliteratur geworden: Ein Teenager, am besten Versager oder Außenseiter, macht sich verbotenerweise auf den Weg irgendwohin, vorzugsweise nach Osteuropa, oder auf die Suche, um am Ende etwas anderes als gedacht, nämlich sich selbst zu finden. Dirk Pope erfindet dieses Genre mit seinem Roman "Abgefahren" nicht neu, liefert aber eine unterhaltsame und spannende Geschichte, die er mit viel Einfühlungsvermögen für seinen Protagonisten und reichlich Sprachwitz geschrieben hat.

Viorels Reise ist gespickt mit Autobahnaction und Verfolgungsjagden, mit Splatter- und Gruselelementen und ironisch verwendeten Klischees und Stereotypen über Rumänien als die Heimat von Vampiren, Höllenhunden und Autodieben. Dabei mutiert Viorels Abenteuer zu keiner Vampir-Fanatsy. Vielmehr ist es eine Geschichte voller Unmöglichkeiten und Unheimlichkeiten mit ein paar versteckten Verbeugungen vor Bram Stokers Dracula. Am meisten jedoch packen beim Lesen Popes Schilderungen von Viorels Innenleben und Gefühlen. Der Junge scheint die ganze Fahrt über unter Schock zu stehen, er hat sich nicht einmal die Zeit genommen, richtig um seine Mutter zu trauen. Vielleicht konnte er es einfach nicht. Später hört er ein rumänisches Sprichwort: "Tränen helfen den Toten nicht." Das mag stimmen. Den Hinterbliebenen jedoch helfen sie durchaus. Viorel hätten sie auf jeden Fall geholfen.

Die stärksten Stellen im Buch kreisen um Viorels Übergewicht. Er war mit 13 Jahren schon so dick, dass er und seine Mutter nicht gleichzeitig in der Küche essen konnten. Pope beschreibt respektvoll und einfühlsam den Esszwang seines Protagonisten, listet auf, dass Essen nicht nur Nahrungsaufnahme ist Es dient dem Zeitvertreib, hilft ihm zu vergessen, ist ein Hobby, eine Lebensaufgabe, verschafft ihm Glück und Wohlbefinden. Es bringt aber auch Probleme wie geringes Selbstwertgefühl und mangelndes Selbstbewusstsein. Pope gelingt es mit solchen Schilderungen aus Viorel einen Helden zu machen. Vielleicht hätten die Bedrohungen, mit der Leiche im Kofferraum aufzufliegen, und die Gefahren auf den Straßen noch für mehr spannende Wendungen und Ereignisse sorgen können. (ab 14 Jahre)

© SZ vom 25.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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