Revolte und Auftritt:Nur mit Seidenschal

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Vom Rascheln der Kleider, von der Kürze der Röcke und dem Elend der Jeans: In ihrem Essay über Mode zeigt Hannelore Schlaffer, wie sich Schönheit und Revolte, Chic und Intellektualität kombinieren lassen.

Von Verena Mayer

Wenn man als intellektuelle Frau über Mode nachdenkt, kann man eigentlich nur verlieren. Von den Männern wird man nicht für voll genommen, den Frauen kann man es ohnehin nicht recht machen. Die einen sehen sofort den Mangel an Expertise (Die weiß nicht, wie der Chef-Designer von Dior heißt!), die anderen wittern Verrat an der Sache der Frauen. Sich mit Mode zu beschäftigen, heißt ja immer, den Körper mitzudenken, auf den die Gesellschaft Frauen nun mal gerne reduziert. Umso erfreulicher, dass es Hannelore Schlaffer trotzdem gewagt hat und ihren neuesten Essayband der Mode widmet. Schlaffer, geboren 1939, war lange Professorin für Literatur, eine ihrer letzten Arbeiten handelte von der Ehe unter Intellektuellen. Zwischen Sartre und Simone de Beauvoir etwa, letztere war übrigens immer sensationell gut angezogen, obwohl sie ihre Klamotten angeblich zwischen zwei Vorlesungen auf dem Flohmarkt kaufte. Chic und Intellektualität galten lange also ebenso schwer zu kombinieren wie Dunkelblau und Schwarz.

In den ersten Kapiteln ihres dichten Textes geht es um die Beschränkungen, denen Frauen durch Mode unterlagen. Das konnten Korsette sein oder Kleiderverbote, wobei man mit Interesse liest, wie alt die Diskussion um freizügige Kleidung an Schulen schon ist, die diesen Sommer erst in der Forderung nach einem Verbot von Hotpants gipfelte. Als Hannelore Schlaffer während ihres Referendariats einen engen Rock trug, rief die Schulleiterin: "Was aus Ihnen mal wird, das möchte ich wissen!" Sich mit Äußerlichkeiten zu befassen, galt nur für Frauen als statthaft, die einen Mann hatten, also sexuell attraktiv sein sollten. Frauen, die studierten oder gar arbeiteten, hatten diesen Status durch äußere Reizlosigkeit zu unterstreichen.

"Alle meine Kleider" ist, wie der Titel schon sagt, eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit Mode. Hannelore Schlaffer erzählt die Kulturgeschichte von Kleidung eng an ihrer Biografie entlang. Wie es war, im Nationalsozialismus aufzuwachsen, der den männlichen wie weiblichen Körper uniformierte. Schlaffers Mutter nahm in den Bombenächten immer ihre Hutschachtel mit in den Luftschutzkeller, eine kleine Flucht in das Schöne, Überflüssige. Ihr politisches und modisches Coming-Out erlebte Schlaffer während der Studentenbewegung, als sich "Schönheit mit der Revolte verbündete" und es in jeder Hinsicht erstrebenswert war, die neuesten Moden zu kennen. Sein und Design bestimmten das Bewusstsein.

Das Spiel mit Äußerlichkeiten wird verteidigt gegen alle, die darin nur Oberflächlichkeit sehen

Die Schilderungen von damals gehören zu den originellsten Teilen des Bändchens. Man muss sofort an eine andere modeverrückte Intellektuelle denken, die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, deren Sinn für Stil ebenfalls aus dieser Zeit stammt. Nicht nur, dass man Jelinek auf alten Fotos oft mit Hut und Fellmantel sieht, eine Art Venus im Pelz zwischen den 68er-Schluffis. Jelinek setzte sich immer auch literarisch mit Kleidung auseinander, einmal beschrieb sie alle ihre Schuhe und deren Geschichte. Eine Aufzählung mit doppeltem Boden, Schuhberge haben längst nichts Unschuldiges mehr. Hannelore Schlaffer streift die Literatur nur am Rande, sie trifft lieber Geschmacksurteile. Jeans findet sie unmöglich, einschnürend und "so reizvoll wie Sichtbeton, für den sich allerdings auch mancher Architekt begeistern kann". Dafür mag sie Spitzenunterwäsche und schwingende Röcke und überhaupt alles in der Mode, das Deutungen zulässt, sowohl seitens der Trägerin als auch im Auge des Betrachters. Kleider, die genauso gut Verkleidung sein können. Immer wieder verteidigt sie das Spiel mit Äußerlichkeiten gegen jene, die darin nur Oberflächlichkeit sehen. Mode sei für Frauen immer eine Form gewesen, etwas darzustellen - in restriktiven Zeiten war es ihre einzige Möglichkeit, sich mitzuteilen. Man denke nur an die Botschaften, die Frauen im 18. Jahrhundert mit Fächern übermittelten.

Vor allem aber huldigt Schlaffer den Stoffen. Sie beschreibt das Rascheln von Kleidern und das Glück, Stoff zu berühren und darunter die Konturen eines Körpers wahrzunehmen. Es geht um Mütter, die ihre Kinder mit Selbstgenähtem oder -gekauften im wahrsten Sinn des Wortes umgarnen, und um den Trost, den eine Schublade voller Seidenschals in einer Welt aus Polyester spenden kann. Seitenweise kann Schlaffer von Stoffen erzählen, und spätestens hier wird die Auseinandersetzung mit der Mode metaphysisch. Denn Mode besteht aus Stoff, und Stoff ist Inhalt - und stofflich ist auch die ganze Welt.

Hannelore Schlaffer: Alle meine Kleider. Arbeit am Auftritt. Essay. Zu Klampen, Springe 2015. 167 Seiten, 18 Euro.

© SZ vom 13.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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