Retrokolumne:Test the Best

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Zwei Wiederveröffentlichungen von Richard Dawson: "The Magic Bridge" (2011, l.) und "The Glass Trunk" (2013). (Foto: Label)

Der nordenglische Musiker Richard Dawson ist ein Eigenbrötler, dessen Oeuvre dringend entdeckt gehört. Zwei seiner Alben sind nun neu veröffentlicht worden und begeistern mit verstimmten Gitarren und alten Blutgeschichten.

Von Karl Bruckmaier

Der Mann mit der Gitarre: blind. So sah Blind Lemon Irgendwer einst ins nihilistische Licht. Heute hat der Seher eine genetisch bedingte Netzhautablösung, nimmt die Dinge zwar wahr, aber eben anders, unscharf, in Auf- und Ablösung begriffen. Und heißt Richard Dawson, stammt aus dem nordenglischen Newcastle, einer Stadt, die mich schon früh zu beeindrucken wusste, da bei meinem ersten Englandaufenthalt 1978 das Gerücht kursierte, sie besitze eine eigene Trinkerheilanstalt nur für die Opfer des dort hergestellten und auch überregional gefürchteten Brown Ales. Heute, in nüchterneren Zeiten, adelt diese Herkunft den Künstler, weil britische Pop-Musik - meist nüchtern berechnend und gern von Studenten aus gutem Haus als interessantes Projekt für den Lebenslauf betrieben - fast nur noch oben an der Grenze zwischen Schottland und England jene eigenbrötlerischen Originale hervorbringt, die das Hinhören lohnen: Bill Wells, Aidan Moffat, King Creosote, Malcolm Middleton, James Yorkston ..

. Doch dies ist schon zu viel der Abschweifung. Richard Dawson verweigert sich einer Beschreibung, bei der man quasi über die Bande spielt und durch das Anhäufen von Namen eine Ahnung vermittelt, wie dieser Musiker klingt und warum dies so ist. Dawson spielt selber mit diesem Rezeptionsklischee, nennt mal Obertongesang und mal gälische Volksmusik, mal klassische Musik und schließlich Punkrock als Einfluss und noch fünfzig andere wesentlich obskurere Dinge dazu. Dabei zeichnet seine Musik eben kein Obskurantismus aus; sie befindet sich bloß so weit ab von jedem Mainstream, dass nicht einmal mehr Zitate als sinnstiftende Einsprengsel dingfest gemacht werden können. 2014 erschien "Nothing Important", seine bisher letzte und extremste und überraschenderweise erfolgreichste Platte, sodass sich sein neues Label Domino entschlossen hat, die beiden Vorgängeralben nun ebenfalls noch einmal zu veröffentlichen: "The Magic Bridge" (aus dem Jahr 2011) und "The Glass Trunk" (2013).

Und damit können wir einen verdatterten Blick werfen auf dieses noch schmale Œuvre eines kommenden Großmeisters: "The Magic Bridge" eröffnet ein Gitarreninstrumental, das so aus jedem Rhythmus geraten zu sein scheint, so verstimmt klingt, als hätte man einem Kleinkind das Instrument zum Spielen gegeben. Doch schnell erahnt man einen inneren Rhythmus, beginnt man die eigene Stimmung zu verstehen, die Dawson hier wählt. Es hebt ein Trip an in eine schlicht anders definierte musikalische Realität, die von Racheengeln in Gestalt geifernder Sabberhunde bevölkert ist, wo man einen alten Mann an seinem Sterbebett besucht oder die akribische Beschreibung eines Einkaufskorbes unerwartete Einsichten zu bringen vermag.

"The Glass Trunk" steigert den Grad an Seltsamkeit und Entfremdung noch weiter, kurze Instrumentalattacken wechseln mit sehr langen A-cappella-Stücken, die in einem Museumsarchiv gefundene Blutgeschichten in die Gegenwart herauf zitieren, und ein Satz muss auch noch zu "Nothing Important" gesagt sein, wo die auf einer kaputten Billiggitarre gespielten Instrumentals zu wuchern beginnen und um Aufmerksamkeit streiten mit der Schilderung eines geradezu apokalyptischen Schulausflugs, betitelt "The Vile Stuff", was uns wieder in die Nähe der Trinkerheilanstalt bringt. Richard Dawson sei hier nicht frivol empfohlen. Er sei vorsichtig genannt. Test the best.

© SZ vom 05.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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