Retrokolumne:Eine Reise zu den Quellen des Hip

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(Foto: label)

Warum tragen junge Männer heute gerne dicke Bärte und destillieren eigenen Whisky? Eine Antwort liefern die wiederveröffentlichten Alben von "The Band", die durch ihre Zusammenarbeit mit Bob Dylan legendär wurde.

Von Andrian Kreye

Hin und wieder fragt man sich schon, woher solche Modewellen wie der aktuelle Hipsterismus kommen. Das entsteht ja alles nicht im kulturellen Vakuum. Und dann stößt man auf eines dieser grandiosen Werke, die einem viel erklären. Wenn man sich zum Beispiel die ersten acht Alben von The Band noch einmal anhört, versteht man viel besser, warum nun in aller Welt junge Männer dicke Bärte und groben Zwirn tragen, warum junge Leute Destillerien für Hausmacherwhisky gründen, Kaffee aus Glasfiltern ausschenken oder für die Frittenproduktion in ihrem Lokal monatelang nach dem besten Kartoffelbauern im Umland suchen.

Wie so viele Modeströmungen begann alles mit einem amerikanischen Selbstfindungsprozess. Die acht Alben sind gerade auf Vinyl neu erschienen: "The Band - The Capitol Albums 1968-1977" (Universal). Wobei man ein paar Jahre vor den Aufnahmen zum ersten dieser Alben beginnen muss.

Im Juli 2015 war es fünfzig Jahre her, dass Bob Dylan beim Newport Folk Festival seinen ersten öffentlichen Auftritt mit einer elektrisch verstärkten Band hatte. Es gibt eine ganze Menge Mythen, was an diesem Abend genau geschah. Sicher ist, dass Dylan erstmals mit einer Band auftrat. Es waren nur drei Nummern, die sie spielten, danach gab Dylan noch zwei akustische Zugaben. Nach einer Viertelstunde war der Auftritt schon wieder vorbei.

Dylan selbst glaubte damals, der Protest aus dem Publikum sei eine Reaktion auf seinen elektrischen Wandel gewesen. Es gibt auch Zeitzeugen, die sagen, das Publikum habe nur gebuht, weil der Sound so schlecht oder weil der Auftritt so kurz war.

Als gesichert gilt aber, dass Dylan in der Rockmusik einen Ausweg aus der Rolle als Folk-Stimme seiner Generation sah. Auf der Suche nach einer Begleitmannschaft stieß er dann im August auf die Band - vier kanadische Musiker und der amerikanische Schlagzeuger Levon Helm. Sie hatten in den Sechzigerjahren den "kanadischen Elvis" Ronnie Hawkins begleitet.

Levon Helm erinnert sich in seiner Autobiografie an den schicksalsträchtigen Anruf von Dylan: "Jemand reichte mir hinter der Bühne den Telefonhörer. ,Hier ist Bob Dylan', sagte eine Stimme am anderen Ende der Leitung. ,Ja, Sir', sage ich. ,Wie kann ich Ihnen helfen?' Lange Pause. ,Ja, ähm . . . äh, wie fänden Sie's denn, mit mir in der Hollywood Bowl zu spielen?' Ich glaube, ich habe erst mal geschluckt, bevor ich fragte ,Wer steht denn da noch auf dem Programm'. - ,Nur wir', sagte Bob."

Ein Jahr später hatte Dylan seinen Motorradunfall. Die Band zog mit ihm ins Künstlerdörfchen Woodstock und nannte sich The Band. Das erste Album, das sie damals aufnahmen und 1968 mit einem Gemälde von Dylan auf dem Cover veröffentlichten, war "Music from Big Pink", benannt nach dem rosa Haus in Woodstock, in dem die Band aufnahm. Nur ein Jahr nach "Sgt. Pepper's" von den Beatles war das Album für die amerikanische Rockmusik ein ähnlich wichtiges Grundlagenwerk. Und was sich da in Songs wie "Tears of Rage", "Long Black Veil" und "The Weight" formulierte, war eine Fortsetzung jener Suche nach den Wurzeln der amerikanischen Kultur, die Dylan im Folk begonnen hatte.

Auf dem Cover des zweiten, titellosen Albums sah man die fünf Musiker dann so aus der Zeit gefallen bärtig und grobschlächtig, wie es die Hipster in den Metropolen des 21. Jahrhunderts so gerne wären. Und wieder schürften sie in Songs wie "The Night They Drove Old Dixie Down" und "King Harvest" in den tiefsten Abgründen und fernsten Nischen der amerikanischen Geschichte.

Garth Hudsons Orgel beschwor die Inbrunst der Revivalzelte, in denen die Verzweifelten nach Trost in den Pech- und-Schwefel-Messen der Wanderprediger suchten. Richard Manuels Klavier schloss direkt an das Hämmern der Juke-Joint-Pianisten an. Robbie Robertsons Gitarre verweigerte sich konsequent dem Powerchord-Diktat seiner Zeit. Darunter setzten Bassist Richard Danko und Schlagzeuger Levon Helm ein Fundament, das die Spurensuche im R 'n' B und Rock 'n' Roll erdete. Da also begann diese Suche nach dem Wahren und Ehrlichen, das den Hipsterismus der aktuellen Zeit bestimmt. Das musikalische Erbe der fünf mag zu komplex gewesen sein, als dass man es noch in zeitgenössischen Bands findet. Die Haltung aber und der Geist wirken bis heute, gerade in den Versuchen, im Handwerk vergangener Zeiten eine neue Identität zu finden. Was damals in der Musik ein Widerstand gegen den aufschwellenden Bombast des Pop nach "Sgt. Pepper's" war, kann man auch heute wieder als Verweigerung lesen. Wogegen aber muss jeder für sich selbst entscheiden.

© SZ vom 15.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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